0394 - Wir stellten den Messermörder
bestellte.
»Cheerio«, sagte ich freundlich und schob ihr das zweite Glas zu.
Sie schätzte mit einem Blick mein Einkommen und meine ehrlichen Absichten ab, dann leerte sie das Glas auf einen Zug.
»Dasselbe noch einmal«, sagte ich.
Während sie einschenkte, suchte ich mit den Augen Phil. Ich sah ihn nahe am Eingang an einem kleinen Tisch sitzen.
Aus seinen lebhaften Gebärden konnte ich entnehmen, dass er seinem Gegenüber wohl gerade die Relativitätstheorie erklärte.
Dieses Gegenüber war vielleicht 22 Jahre alt, hatte hoch toupiertes Haar und volle Lippen.
»Macht vier Dollar«, sagte die Blonde und gab mir das Glas.
Ich legte ihr einen 50-Dollarschein hin und verstärkte meinen Charme. Das Gift trippelte mit kleinen Schritten ein paar Meter nach rechts.
»Shed, kannst du wechseln?«, rief sie einem eleganten Mann zu, der unablässig eine Zigarette zwischen den Fingern drehte.
Er kam mit langsamen Schritten näher und zog die Brieftasche.
Das war er also. Der Mann, der in ein paar Stunden tot sein sollte, wenn es nach Shore ging.
Ich hielt mich etwas in Deckung von meinem Nachbarn und musterte Cockey unauffällig. Er hatte ein verschlossenes Gesicht und wirkte nervös. Während er den Schein wechselte, fiel ihm die Brieftasche aus der Hand.
Ich glitt wie geölt von dem Barhocker und fischte die Tasche noch vor ihm auf.
»Kann ich Sie kurz allein sprechen?«, flüsterte ich ihm zu, während ich ihm die Brieftasche gab.
Erschreckt sah er mich an.
Um nicht aufzufallen, ging ich wieder zu meinem Platz, ohne die Antwort abgewartet zu haben. Er schien sich nicht sofort entscheiden zu können, und ich musste damit rechnen, dass die Gangster einen Beobachter unter das Publikum gemischt hatten.
Shed Cockey war verschwunden. Ich hatte einen Moment nicht aufgepasst, und schon musste er sich zurückgezogen haben.
Hoffentlich hielt er mich nicht für einen Steuerfahnder und verließ New York. Dann konnte ich für sein Leben keinen Cent mehr geben.
Als die Blondine wieder eine Minute Zeit hatte, fragte ich unverfänglich lächelnd: »Sagen Sie, Baby, wollen Sie sich den Zehner extra verdienen?« Ich wickelte den Schein um meinen Zeigefinger. Dicht vor ihrer Stupsnase ließ ich das Röllchen kreisen.
»Das kommt darauf an, was Sie dafür verlangen«, sagte sie mit hartem Akzent.
»Nichts weiter, als dass Sie Ihrem Chef ein kleines Zettelchen bringen und ihm erklären, dass ich ausgesprochen treuherzig aussehe.«
Ich warf ein paar Zeilen auf den Kassenblock, riss den obersten Zettel ab und gab ihr beides. »Aber nicht lesen, das schickt sich nicht für kleine Mädchen«, sagte ich grinsend und entließ sie.
Nach zwei Minuten kam sie zurück.
»Sie möchten in fünf Minuten draußen sein, links zum Nebeneingang hereinkommen und dann durch die erste Tür rechts gehen. Dort wird Mr. Cockey auf Sie warten.«
»Danke, Goldfisch«, sagte ich.
***
Um dreiviertel eins verließ ich schlendernd das noch immer gefüllte Lokal, wartete draußen ein paar Minuten, bis mich niemand sah, und huschte dann zu dem angegebenen Eingang.
Die Tür war nur angelehnt, der Flur stockdunkel. Ich riss ein Streichholz an und fand die Tür zu den Privaträumen.
Halblaut klopfte ich, doch Cockey rührte sich nicht. Eine unheimliche Stille lastete zwischen den Mauern.
War es mein sechster Sinn, der mir sagte, dass etwas nicht stimmte? Oder nur die überreizten Nerven?
Ich nahm die Waffe in die Hand und probierte die Türklinke. Sie gab sofort nach.
Ein merkwürdiger Geruch hing im Flur. Ich fühlte einen leichten Luftzug und griff zum Lichtschalter. Es blieb dunkel.
»Mr. Cockey«, rief ich gedämpft und trat einen Schritt zur Seite. Nichts passierte.
Ein erneutes Streichholz flammte auf. Ich sah zwei Schritte weiter eine Tür sperrangelweit offen stehen und trat zögernd in den Türrahmen.
Die Vorhänge waren geschlossen, das Licht der Neonreklamen erleuchtete den Raum. Auch ohne Streichholz konnte ich die Konturen eines Menschen erkennen, der auf dem Boden lag.
Mit zwei raschen Schritten war ich am Vorhang und riss ihn auf. Genau in dem hellen Viereck, das der Lichtschein auf den Teppich warf, lag verkrümmt Shed Cockey. Die Augen waren offen.
Mitten aus dem Hemd ragte der Griff eines Wurfmessers.
Ich stand eine Sekunde reglos, dann hatte ich mich gefasst. Mit belegter Zunge ging ich auf den Toten zu.
Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment peitschte ein Schuss auf.
Da, wo sich eben noch mein Kopf befunden
Weitere Kostenlose Bücher