0399 - Totentanz im Urnengrab
sah er aus mit der grauen Haut, dem aufgerissenen Maul und den irgendwie verkantet wirkenden Kiefern. Ein Wesen, das Urängste auslösen konnten, aber von dem Häuptling lang ersehnt worden war. Und so schaute er zu, wie sich die erste lebende Leiche aus den Büschen schob, aufrecht hinstellte und den Eingeborenen anglotzte.
Der Häuptling reagierte. Ein kurzes, rauhes Gelächter drang aus seinem Mund und hallte dem Zombie entgegen, der beobachtete, wie sein zweiter Artgenosse auftauchte.
Es war der ohne Haare. Auf seiner Schädelplatte lag ein grauer Staubfilm. Sein sackartiges Gewand zeigte an einigen Stellen Risse, man sah ihm an, daß er sich lange verborgen gehalten hatte, doch diese Zeit war jetzt vorbei.
Das gleiche galt auch für den größten der Zombies, der sich als letzter zeigte und über die Trümmer stiefelte. Um seinen Hals hatte er eine Schlange gelegt.
So giftig und gefährlich sie für Menschen auch sein mochte, einem Toten konnte dieses Reptil nichts mehr anhaben. Wahrscheinlich spürte der Zombie den ruhig um seinen Hals liegenden Schlangenleib überhaupt nicht.
Alle drei setzten sie sich gemeinsam in Bewegung und näherten sich wankend dem neuen Ziel.
Der Häuptling erwartete sie. Nicht die Spur einer Furcht zeigte sich auf seinem Gesicht. Im Gegenteil, in ihm war eine gewisse Befriedigung zu lesen, denn er hatte eines seiner großen Ziele erreicht.
Sie waren wieder zusammen.
Die Zombies blieben zwei Schrittlängen vor ihm stehen und stierten ihn an. Ihre Köpfe schwangen von einer Seite auf die andere. Der Modergeruch, den sie ausströmten, verbreitete sich wie ein Pesthauch in der näheren Umgebung, doch er störte weder die drei lebenden Leichen noch den Häuptling. Daran hatte er sich längst gewöhnt.
Mit einem geschmeidigen Satz sprang er zu Boden, stand vor den drei lebenden Leichen und streckte die rechte Hand aus. Er wollte einen Versuch starten und ließ dabei wieder dieses helle Geräusch hören, das an das Kreischen junger Affen erinnerte.
Die Zombies wußten Bescheid.
Es war der mit den weißen Haaren, der den Anfang machte und seine kalte Totenklaue in die Hand des Häuptlings legte, der seine Finger fest um die Leichenhand schloß und den Zombie hart anschaute.
Der Untote rührte sich nicht, und der Häuptling wußte plötzlich, daß er Macht über diese Wesen besaß. Das bewies er auch Sekunden später, als er sich einen Ruck gab, sich umdrehte und den Zombie hinter sich herzog wie ein kleines Kind.
Ebenso gehorsam folgten die beiden anderen. Sie schritten ihrem neuen Ziel entgegen.
Dem alten Friedhof…
***
Auch wir hatten ihn erreicht!
Und ich war froh, daß der Padre stoppte. So konnte ich mich ein wenig ausruhen, denn dieses feuchte Klima behagte mir überhaupt nicht. Bei jedem Atemzug hatte ich das Gefühl, kleine Tropfen zu trinken, so naß war die Luft nach dem Verschwinden der Sonne mittlerweile geworden. Noch lag Helligkeit über der Stadt. Dies, so wußte ich, würde sich sehr bald ändern, denn in den Tropen kam die Dunkelheit fast schlagartig. Eine Dämmerung, wie ich sie kannte, gab es nicht.
Mit dem Tuch wischte ich über mein Gesicht. Staub und Schweiß zeichneten sich auf dem Stoff ab, und der Padre sagte: »Rio ist nicht jedermanns Sache. Die meisten Europäer hocken in ihren Hotels und kommen erst am Abend heraus.«
»Als Tourist würde ich jetzt am Strand liegen.«
Statt dessen befanden wir uns auf einem alten Friedhof, der tatsächlich an einem der zahlreichen Hänge eingerichtet worden war.
Am Strand leuchteten die Hotelkästen. Dort würde bald wieder eine der langen brasilianischen Nächte beginnen. Mit heißer Musik, Samba-Tanz und fröhlichen Menschen.
Auch des Nachts wurde am Strand gebadet. Es war ein besonderes Vergnügen, sich in der Dunkelheit den anrollenden Wellen entgegenzuwerfen. Auch ich hätte es gern getan, aber das würde wohl ein Traum bleiben.
Das Tor zum Friedhof war verrostet und stand offen. Wir betraten eine alles überwuchernde Dschungellandschaft, in der die Grabsteine nur bei genauem Hinsehen zu erkennen waren.
Ich schritt hinter dem Padre her. Nur unsere Schritte waren zu hören, denn auch das Lärmen der Vögel in den dichten Baumkronen war erst gar nicht aufgeklungen.
Das machte den Padre mißtrauisch. »Es muß einen Grund haben, daß die Vögel und Tiere nicht kreischen«, sagte er.
»Vielleicht sind die anderen schon da.«
»Meinen Sie?«
»Ja, denn die Tiere merken dies eher als wir Menschen.
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