04_Es ist was Faul
sie in Erinnerung hatte. Die Wände waren noch immer grün, und aus der
Kantine im ersten Stock drang leiser Kohlgeruch. Natürlich war
ich nicht allzu lange hier gewesen. Ich hatte 1985 nur wenige
Wochen in Swindon gearbeitet, den weitaus größten Teil meiner Dienstzeit hatte ich in London verbracht.
Ich ging zur Anmeldung, aber Sergeant Ross war nicht mehr
da. Er war durch einen Beamten ersetzt worden, der mir viel zu
jung schien, um überhaupt Polizeibeamter zu sein, geschweige
denn Diensthabender beim Empfang.
»Ich bin gekommen, um wieder für SpecOps zu arbeiten«,
erklärte ich ihm.
»Bei welcher Abteilung sind Sie denn gewesen?«
»LitAg.«
Er kicherte unfreundlich. »Da werden Sie den Commander
aufsuchen müssen«, sagte er, ohne den Blick vom Wachbuch zu
nehmen. »Name?«
»Thursday Next.«
Eine unnatürliche Stille senkte sich über den Raum, und ich
hörte, wie mein Name sich flüsternd unter den anwesenden
Polizisten und SpecOps-Agenten verbreitete. Innerhalb weniger
Sekunden starrten alle mich an. Ich lächelte verlegen und sah
von einem ausdruckslosen Gesicht zum nächsten. Sollte ich
wegzulaufen versuchen? Mein Puls beschleunigte sich, als ein
junger Beamter neben mir in seine Brusttasche fasste und – ein
Notizbuch herauszog.
»Bitte«, sagte er, »könnte ich vielleicht ein Autogramm haben?«
»Ja, äh – natürlich.«
Ich atmete erleichtert auf und war alsbald von SpecOpsAgenten und Polizisten umringt, die mir auf den Rücken schlugen und mir gratulierten. Der Fall Jane Eyre war offenbar zur
Legende geworden.
Allerdings gab es auch andere Blicke. Es schien Beamte zu
geben, die sich keineswegs bloß wegen meiner Berühmtheit für
mich interessierten.
»Ich möchte gern erst mal mit Bowden Cable reden«, sagte
ich. Mein alter Partner konnte mir bestimmt noch am ehesten
helfen. Der Diensthabende lächelte, griff zum Telefon, um mich
anzumelden, und gab mir einen Besucherausweis. Ich solle bitte
ins Zimmer sechzehn im dritten Stock gehen.
Ich bedankte mich bei meinen neuen Bekannten, ging zum
Aufzug und fuhr in den dritten Stock. Als sich die Lifttüren
öffneten, erschien plötzlich Bowden, ergriff meinen Arm und
führte mich in ein leeres Büro.
»Bowden!«, sagte ich glücklich. »Wie geht 's Ihnen?«
Er hatte sich in den vergangenen zwei Jahren nicht sehr verändert. Wie immer war er höchst korrekt gekleidet. Allerdings
war er offensichtlich in Eile gewesen, denn die Jacke seines
Nadelstreifenanzugs war in seinem Zimmer geblieben.
»Mir geht's gut, Thursday, echt gut. Aber wo zum Teufel sind
Sie gewesen?«
»Ich war –«
»Erzählen Sie's mir später. Vorerst können Sie sich bei der
GSG bedanken, dass ich Sie zuerst erwischt habe! Herrje, was
haben Sie denn mit Ihren Haaren gemacht?«
»Na ja, Jeanne d'Arc –«
»Könn' Sie mir später erzählen. Kennen Sie Yorrick Kaine?«
»Natürlich! Ich bin hier, um –«
»Keine Zeit für Erklärungen. Er kann Sie aus irgendwelchen
Gründen nicht leiden. Er hat einen persönlichen Assistenten
namens Ernst Stricknene, der uns jeden Tag anruft und fragt, ob
Sie schon wieder da sind. Aber heute – hat er nicht angerufen!«
»Ja, und?«
»Er weiß offenbar, dass Sie zurück sind. Warum interessiert
der Kanzler sich überhaupt so für Sie?«
»Weil er fiktional ist und weil ich ihn in die BuchWelt zurückholen soll, wohin er gehört.«
»Also, wenn mir das jemand anderes erzählt hätte, würde ich
schallend lachen. Ist das wirklich wahr?«
»So wahr ich hier stehe.«
»Wie auch immer, auf jeden Fall ist Ihr Leben bedroht. Haben Sie je von einem Auftragskiller namens –«
» Windowmaker ?«
»–gehört? Woher wissen Sie das?«
»Ich habe so meine Quellen. Haben Sie eine Ahnung, wer
den Kontrakt auf meinen Kopf ausgesetzt hat?«
»Tja, der Windowmaker hat siebenundsechzig Leute umgebracht, und wenn Samuel Pring auch auf sein Konto geht, sind
es achtundsechzig. Dass er das Attentat auf Gordon DuffRolecks verübt hat, steht fest. Und von dessen Tod hat eigentlich nur –«
»–Kaine profitiert.«
»Genau. Also müssen Sie vorsichtig sein. Andererseits wollen
wir, dass Sie wieder als LitAg hei uns arbeiten. Wir haben eine
Menge Probleme, und Ihre Erfahrung –«
»Also was sollen wir machen?«
»Na ja, wenn man die Sache wohlwollend betrachtet, haben
Sie sich unentschuldigt von der Truppe entfernt. Wenn man
böswillig ist, sind Sie eine überführte Käseschmugglerin. Wir
haben
Weitere Kostenlose Bücher