04 - Mein ist die Rache
ereignet hatte. Sie hörte ihm zu, ohne ihn anzusehen. Er spürte die Schärfe unter ihrer Spannung und wußte, daß sie einem Zorn entsprang, der sich gegen Peter Lynley richtete. Nach der willenlosen Fügsamkeit, die sie nach dem Schock über Justin Brookes Tod gezeigt hatte, war er auf diese Veränderung nicht gefaßt, obwohl er wußte, daß ihr Zorn ganz natürlich war und daß sie das Bedürfnis hatte zu verletzen, um andere den eigenen Schmerz spüren zu lassen.
»Wie praktisch«, sagte sie, als er geendet hatte. »Wie ungeheuer praktisch.«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, er hat mir alles erzählt.«
»Erzählt? Was denn?«
»Justin hat es mir erzählt, Simon. Alles. Daß Peter bei Mick Cambrey war. Daß es einen Riesenkrach zwischen den beiden gab. Er hat es mir erzählt. Kapiert?«
Sie rührte sich nicht von der Stelle. Hätte sie es getan, wäre sie ins Zimmer gestürzt, hätte sie die Vorhänge heruntergerissen, Decken und Laken vom Bett gefegt, die Vase mit den Blumen zu Boden geschleudert, St. James wäre weniger beunruhigt gewesen. Solche Reaktionen hätten ihrem Naturell entsprochen. Nicht diese Starrheit. Selbst ihre Stimme war beinahe vollkommen beherrscht.
»Ich habe ihm gesagt, daß er mit dir oder Tommy sprechen muß«, fuhr sie fort. »Nach der Verhaftung von John Penellin sagte ich ihm, daß er reden müsse. Es nicht länger verschweigen könne. Es wäre seine Pflicht, die Wahrheit zu sagen, sagte ich ihm. Er wollte da nicht hineingezogen werden, verstehst du? Er wußte, daß er Peter in Schwierigkeiten bringen würde. Aber ich ließ nicht locker. Ich sagte: ›Wenn John Penellin in Gull Cottage gesehen wurde, dann seid ihr beide, du und Peter, wahrscheinlich auch gesehen worden.‹ Ich sagte, er solle lieber gleich mit der Geschichte herausrücken, anstatt zu warten, bis die Polizei sie von irgendwelchen Nachbarn erfährt.«
»Sid -« »Aber er hatte Angst, weil er Peter allein mit Mick zurückgelassen hatte. Er sagte, Peter wäre außer Rand und Band gewesen. Er hatte Angst, weil er keine Ahnung hatte, was passierte, nachdem er gegangen war. Aber ich überzeugte ihn davon, daß er mit Tommy sprechen müsse. Und das hat er schließlich auch getan. Und jetzt ist er tot. Wie ungeheuer praktisch, daß Peter genau in diesem Moment verschwunden ist.«
St. James ging durch das Zimmer und schloß die Tür. »Die Kripo ist der Meinung, daß Justin einem Unfall zum Opfer gefallen ist, Sid. Sie haben keinerlei Hinweise darauf, daß es Mord gewesen sein könnte.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Darum nicht.«
»War er Samstagnacht bei dir?«
»Natürlich war er bei mir.« Sie warf den Kopf in den Nacken und sagte, als ginge es um ihre Ehre: »Wir haben miteinander geschlafen. Er wollte. Er kam zu mir. Ich habe ihn nicht gebeten. Er kam von selbst.«
»Und was für eine Entschuldigung hat er gebraucht, als er dann ging?«
Ihre Nasenflügel blähten sich. »Er hat mich geliebt, Simon. Er hat mich begehrt. Wir verstanden uns gut. Aber das kannst du nicht akzeptieren, nicht wahr?«
»Sid, ich will jetzt nicht darüber streiten -«
»Kannst du es akzeptieren? Sag, kannst du?«
Draußen auf dem Korridor sprachen zwei Frauen miteinander. Sie schienen darüber zu streiten, wer staubsaugen und wer die Badezimmer saubermachen würde. Ihre Stimmen wurden flüchtig lauter und verklangen, als sie die Treppe hinunterstiegen.
»Um welche Zeit ist er gegangen?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht darauf geachtet.«
»Hat. er etwas gesagt?«
»Er war rastlos. Er sagte, er könne nicht schlafen. So ist er manchmal. Das ist früher auch schon vorgekommen. Er sagte, er könne in seinem eigenen Zimmer besser schlafen.«
»Zog er sich an?«
»Ob er - ja, er zog sich an.« Sie zog die Schlußfolgerung selbst. »Also hat er sich mit Peter getroffen. Denn nur um in sein Zimmer hinüberzugehern, hätte er sich ja nicht anzuziehen brauchen. Aber er hat sich angezogen, Simon. Schuhe und Strümpfe, Hemd und Hose. Alles außer der Krawatte.«
St. James dachte über die Bedeutung der Tatsache nach, daß Justin Brooke sich angekleidet hatte, als er Sidney verlassen hatte. Wenn Peter Lynley ein harmloses Gespräch mit Brooke gesucht hätte, wäre es das Einfachste und Vernünftigste gewesen, es irgendwo im Haus zu führen. War es ihm andererseits darum gegangen, Brooke loszuwerden, so war es klüger, ihn an einen Ort zu locken, wo sich der Mord als Unfall tarnen ließ. Aber angenommen, das
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