04 - Mein ist die Rache
vielleicht nur Mutmaßungen anstellen können.«
Sie senkte den Kopf und drückte eine Hand auf die Augen. Lynley wartete darauf, daß Trenarrow sich ihr nähern würde. Er spürte das Verlangen des anderen, es zu tun. Es war beinahe greifbar. Doch Trenarrow rührte sich nicht.
»Quäl dich nicht«, sagte er nur. »Wir wissen gar nichts. Wir wissen noch nicht einmal, ob wirklich Peter das Boot genommen hat. Dorothy, bitte!«
Lynley registrierte mit einer Aufwallung des Schmerzes, daß Trenarrow immer der einzige gewesen war, der seine Mutter bei ihrem richtigen Namen genannt hatte.
»Du weißt, daß er das Boot genommen hat«, sagte sie. »Wir alle wissen, warum. Aber ich habe alle Anzeichen einfach ignoriert. Er war in Behandlung. Er war in vier Kliniken, und ich wollte unbedingt glauben, er hätte es ein für allemal überwunden. Aber so war es nicht. Ich wußte es sofort, als ich ihn am Freitag morgen sah. Ich wollte nur der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen, ich glaubte, ich könnte es nicht ertragen. Ich habe es nie gewußt. Ach, Roddy ...«
Hätte sie nicht seinen Namen gesagt, so hätte Trenarrow wahrscheinlich weiterhin Abstand gewahrt. So jedoch ging er zu ihr, streichelte ihr Gesicht, ihr Haar, sprach ihren Namen. Sie umarmte ihn und lehnte sich an ihn.
Lynley wandte sich ab. Er wollte nur gehen.
»Ich verstehe es nicht«, sagte Daze Asherton. »Ganz gleich, was er sich dabei dachte, als er das Boot nahm, er muß doch gesehen haben, wie das Wetter war. Er hätte die Gefahr erkannt. So kopflos kann er nicht gewesen sein.« Sie löste sich von Trenarrow. »Tommy?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Lynley.
Seine Mutter stand auf und kam zum Sofa. »Das ist noch gar nicht alles, nicht wahr? Du hast mir etwas verschwiegen. - Nein, Roddy«, wehrte sie ab, als Trenarrow sich ihr zuneigte.
»Es geht jetzt schon. Tommy, sag mir die Wahrheit. Bitte verheimliche mir nichts. Du hast gestern abend mit ihm Streit gehabt. Ich habe euch gehört. Das weißt du. Bitte sag mir die Wahrheit.«
Lynley sah zu ihr auf. Ihr Gesicht war wieder ganz gefaßt, als hätte sie eine neue Quelle der Kraft gefunden. Er senkte den Blick zu der Kaffeetasse, die warm in seinen Händen ruhte.
»Peter war am Freitag abend nach John Penellin bei Mick Cambrey. Danach ist Mick umgekommen. Justin Brooke hat mir das gestern abend nach Johns Verhaftung erzählt. Und danach -« er sah wieder zu ihr auf - »ist Justin Brooke umgekommen.«
Ihre Lippen öffneten sich, während sie sprach, sonst jedoch blieb ihr Gesicht unbewegt. »Du kannst nicht im Ernst glauben, daß dein Bruder -«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.« Seine Stimme war heiser. »Herrgott noch mal, sag du mir doch, was ich glauben soll, wenn du kannst! Mick ist tot. Justin Brooke ist tot. Peter ist verschwunden. Also, was soll ich davon halten?«
Trenarrow kam einen Schritt näher, als wolle er Daze Asherton schützen. Aber im selben Moment setzte sich Daze zu ihrem Sohn auf das Sofa und legte ihm den Arm um die Schultern.
»Ach, Tommy«, murmelte sie. »Mein lieber, lieber Junge. Warum glaubst du nur, du müßtest das alles ganz allein tragen?«
18
Der Morgenhimmel war so blau und heiter, als hätte es nie einen Sturm gegeben. Die Seevögel waren zurückgekehrt und krakeelten schrill und aufdringlich wie immer. Doch die Erde zeigte deutliche Spuren von dem vergangenen Unwetter. Schieferschindeln lagen in Scherben in der Einfahrt zum Südhof, unter ihnen eine verbogene Wetterfahne, die vom Dach eines der Wirtschaftsgebäude heruntergefegt worden war. Welke Blumen, vom Sturm abgerissen, bildeten bunte Sprenkel im Grau; blaue Glockenblumen; rosarote Begonien, ganze Rispen von Rittersporn, und überall die Blütenblätter zerrupfter Rosen. Glasscherben glitzerten wie Edelsteine auf dem Pflaster, und über einer Pfütze lag wie eine dünne Eisdecke eine Fensterscheibe, die kurioserweise unversehrt geblieben war. Die Gärtner waren schon an der Arbeit, um die Schäden zu beseitigen. St. James konnte aus Garten und Park Stimmen hören, die ab und zu vom schrillen Kreischen einer elektrischen Säge übertönt wurden.
Es klopfte zweimal kurz an die Zimmertür, und Cotter trat ein.
»Schon erledigt«, sagte er. »War eine kleine Überraschung.«
Er kam durch das Zimmer und reichte St. James den leeren Briefumschlag, auf dem dieser sich am Abend zuvor die Nummer notiert hatte, die Helen ihm aus London durchgegeben hatte.
»Das ist Dr. Trenarrows Telefonnummer.«
»Ach
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