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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ein. Den Schmerz im Entstehen zu meistern war alles, und er überlegte nicht, daß, wenn das gelingen sollte, der Moment gekommen war, die Vorwürfe zu betrachten, die Deborah ihm ins Gesicht geschleudert hatte, und - schlimmer noch - ihre Richtigkeit anzuerkennen.
    Er hatte in der Tat drei Jahre lang nichts von sich hören lassen, ihr weder geschrieben noch sonst ein Zeichen gegeben. Und das Vernichtende daran war, daß er für dieses Verhalten keine Entschuldigung oder Erklärung geben konnte, die sie verstanden hätte. Aber selbst wenn sie es hätte verstehen können, welchen Sinn hätte es jetzt noch, ihr zu sagen, daß er mit jedem Tag ihrer Abwesenheit ein Stück weiter dem Nichts entgegengetrieben war? Während er innerlich langsam abgestorben war, war Lynley in ihr Leben getreten, ruhig und zuverlässig und absolut selbstsicher.
    Bei dem Gedanken an den anderen riß sich St. James aus seiner Lethargie und kramte in der Hosentasche nach dem Wagenschlüssel. Keinesfalls wollte er hier, wie ein schmachtender Pennäler vor Deborahs Haus sitzend, von Lynley gesehen werden. Er steuerte den Wagen vom Bordstein weg und reihte sich in die Autoschlangen ein, die die Straße hinunterkrochen.
    An der Ecke Praed und London Street schaltete die Ampel auf Rot. Ziellos ließ St. James den Blick wandern. Er beobachtete eine Frau, die von einem Händler, dessen Karren unsicher am äußersten Rand des Bürgersteigs stand, ein Rad halb über den Bordstein hängend, Blumen kaufte. Sie schüttelte den Kopf mit dem kurzen schwarzen Haar, nahm einen Strauß Sommerblumen aus der Hand des Händlers und lachte über irgendeine Bemerkung von ihm.
    Als St. James sie sah, verfluchte er seine unverzeihliche Dummheit. Das war der Besuch, den Deborah erwartet hatte: nicht Lynley, sondern seine Schwester Sidney.
    Kurz nachdem Simon gegangen war, klopfte es, aber Deborah ignorierte es. Sie kauerte vor dem Fenster, den Scherben eines zerbrochenen Schwanenflügels in der Hand, und schloß ihn so fest in ihre Handfläche, daß frisches Blut hervorquoll. Nur ein Tropfen hier und dort, wo die Ränder am schärfsten waren, dann ein stetes Sickern, als sie den Druck verstärkte.
    »Weißt du, wie das bei den Schwänen ist?« hatte er gesagt.
    »Wenn sie einen Gefährten wählen, dann für immer. Sie lernen, in Harmonie miteinander zu leben und einander so anzunehmen, wie sie sind. Daran können wir uns alle ein Beispiel nehmen, nicht wahr?«
    Deborah strich mit den Fingern über das zarte Stück Porzellan, das von Simons Geschenk geblieben war, und fragte sich, wie sie sich zu solchem Verrat hatte hinreißen lassen können. Es war nichts als flüchtige, blinde Rache gewesen, die auf seine Demütigung gezielt hatte! Und was hatte der schreckliche Auftritt zwischen ihnen im Grunde genommen bewiesen? Doch nur, daß ihr pubertäres Glaubensbekenntnis, das sie mit ihren siebzehn Jahren ihm so überzeugt vorgebetet hatte, der Prüfung der Trennung nicht standgehalten hatte. Ich liebe dich, hatte sie gesagt. Nichts kann daran etwas ändern. Niemals. Aber die Worte hatten sich als unwahr erwiesen. Die Menschen waren nicht wie die Schwäne. Am wenigsten sie.
    Deborah stand auf und wischte sich die Wange heftig mit dem Ärmel ihres Kleides, ohne darauf zu achten, ob die drei Knöpfe an der Manschette ihr die Haut aufschürften. Sie ging in die Küche und suchte ein Tuch heraus, das sie sich um die Hand wickelte. Den zerbrochenen Schwanenflügel legte sie in eine Schublade, fruchtloses Tun, das wußte sie, dem albernen Aberglauben entsprungen, daß der Schwan selbst eines Tages wieder heilen würde.
    Auf dem Weg zur Tür, an der es wieder klopfte, überlegte sie, welche Erklärung sie Sidney St. James für ihr Aussehen geben sollte. Ein zweites Mal wischte sie sich über die Wangen, dann drehte sie den Knauf und versuchte zu lächeln, brachte aber nur eine Grimasse zustande.
    »So was Dummes. Ich bin völlig ...« Deborah brach ab.
    Eine bizarr gekleidete, aber dennoch attraktive, schwarzhaarige Frau stand vor der Tür. In der Hand hielt sie ein Glas mit einer milchig-grünen Flüssigkeit, das sie Deborah ohne ein Wort der Erklärung entgegenstreckte. Verblüfft nahm Deborah es ihr ab. Die Frau nickte energisch und trat in die Wohnung.
    »Die Männer sind doch alle gleich.« Sie hatte eine rauhe Stimme, von irgendeinem Provinzakzent gefärbt, den sie offenbar loszuwerden suchte. Barfuß ging sie bis in die Mitte des Zimmers und fuhr zu sprechen fort, als

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