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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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wieder erloschen war. »Ich mache das manchmal so. Zur Vorbeugung. Und wenn ich einen ganzen Abend lang Mr. Sweeneys Schauspielkünste über mich ergehen lassen soll, möchte ich lieber gewappnet sein.«
    Sie lachte und ging ihm die Tabletten holen. »Weißt du, das ist gar keine schlechte Idee«, rief sie zu ihm zurück. »Wenn die heutige Inszenierung genauso erschütternd wird wie die letzte, die wir gesehen haben, werden wir alle Schmerzmittel schlucken, ehe der Abend um ist. Vielleicht sollten wir gleich die ganze Flasche mitnehmen.«
    Sie kam mit den Tabletten zurück. Er stand auf seine Krücken gestützt am Fenster und blickte in den Park hinaus. Doch an seinem Gesicht, das sie im Profil sah, erkannte sie, daß er nichts von dem wahrnahm, was sich seinem Auge bot.
    Haltung und Ausdruck widersprachen seinen Worten, seiner höflichen Anteilnahme und der Leichtigkeit seines Tons. Sie erkannte, daß selbst sein Lächeln nur ein Mittel gewesen war, sie abzuwehren, während er, wie immer, ganz für sich allein geblieben war.
    Sie war nicht bereit, es einfach hinzunehmen. »Du hättest stürzen können«, sagte sie. »Simon, bitte, der Weg war doch viel zu steil. Du hättest dich zu Tode stürzen können.«
    »Eben«, antwortete er.

    Der Salon von Howenstow, so groß wie ein Tennisplatz, machte es einem nicht leicht, sich wohlzufühlen. Die kostbaren antiken Möbel, auf einem feinen Chenilleteppich zu Sitzgruppen und Plauderecken arrangiert, die wertvollen Gemälde an den Wänden, Constables und Turners vor allem, und das feine Porzellan, das überall zur Schau gestellt wurde, warnten vor jeder hastigen Bewegung. Deborah, die allein gekommen war, näherte sich langsam und mit einer gewissen Zaghaftigkeit dem Flügel am Ende des Raums, um sich die dort stehenden Fotografien anzusehen.
    Sie erzählten die Geschichte der Lynleys über die letzten hundert Jahre. Die fünfte Gräfin Asherton, so kerzengerade, als hätte sie ein Lineal im Rücken, blickte sie mit jener strengen Miene an, die für die Fotografien des neunzehnten Jahrhunderts so typisch war; der sechste Graf thronte auf einem mächtigen Braunen und sah wohlgefällig auf eine Meute Jagdhunde hinunter; die derzeitige Gräfin zeigte sich in Prunk und Pretiosen, zur Krönung der Königin angetan; Tommy und seine Geschwister tollten unbeschwert durch eine Jugend in Reichtum und Luxus.
    Nur Tommys Vater, der siebente Graf, fehlte. Als Deborah das auffiel, wurde ihr bewußt, daß sie nirgends im Haus einer Fotografie oder einem Porträt von ihm begegnet war. Sie fand es merkwürdig, zumal sie in Tommys Haus in London mehrere Bilder des Mannes gesehen hatte.
    »Wenn Sie für diese Galerie aufgenommen werden, müssen Sie lächeln. Versprechen Sie mir das?« Daze Asherton war mit einem Glas Sherry in der Hand zu ihr getreten. Sie sah frisch und jung aus in einem duftigen weißen Kleid. »Ich wollte eigentlich lächeln, aber Tommys Vater erklärte, das gehöre sich nicht, und willensschwach wie ich war, bin ich leider sofort umgefallen. So war ich in meiner Jugend. Völlig ohne Rückgrat.«
    Sie lächelte Deborah zu, nahm einen Schluck von ihrem Sherry und wollte sich in die Fensternische setzen.
    »Ich habe den Nachmittag mit Ihrem Vater wirklich genossen, Deborah. Er ist ein so liebenswürdiger Mensch. Obwohl ich fast unaufhörlich geredet habe, hat er mir geduldig zugehört und mir dazu das Gefühl gegeben, alles, was ich sagte, sei witzig und intelligent.« Sie drehte ihr Glas auf ihrer Handfläche und schien die Lichtreflexe zu beobachten, die in seinen geschliffenen Ornamenten aufblitzten. »Sie stehen Ihrem Vater sehr nahe.«
    »Ja«, antwortete Deborah.
    »Das ist manchmal so bei Kindern, die nicht mehr beide Eltern haben, nicht wahr? Das Gute, das aus einem Tod erwachsen kann.«
    »Ich war noch sehr jung, als meine Mutter starb«, sagte Deborah, wie um die Distanz zu erklären, die ihr zwischen Tommy und seiner Mutter aufgefallen war. »Da war es wahrscheinlich ganz natürlich, daß ich eine tiefere Bindung zu meinem Vater entwickelte. Und ich hatte keine Geschwister. Gut, Simon war da, aber er war eher - ich weiß nicht. Ein Onkel? Ein Cousin? Aufziehen mußte mich mein Vater praktisch allein.«
    »Und die Folge ist eine sehr enge Bindung zwischen Ihnen beiden. Sie haben wirklich Glück gehabt.«
    Aber Deborah sah die Beziehung zu ihrem Vater nicht vorrangig als ein Produkt glücklicher Umstände. In täglicher Auseinandersetzung mit einem Kind, dessen

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