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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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unterhielt, ist es gut möglich, daß sie uns etwas sagen kann, was zur Klärung des Mordes beiträgt. Vielleicht etwas, das Mick ihr verraten hat, ohne es zu wollen. Nach der Liebe ist man entspannt. Man fühlt sich sicherer. Man verschanzt sich nicht so stark wie sonst. Man ist ehrlicher.« Er wurde sich plötzlich der Intimität seiner Worte bewußt und brach ab.
    »Helen kann dich begleiten. Ich werde mich hier umhören. Mit Tommy zusammen. Und wenn dann - ach, verdammt! Die Aufnahmen. Ich habe den Film in deinem Apparat gelassen. Wenn wir ihn entwickeln, werden wir zweifellos - sei mir nicht böse, aber ich habe den ganzen Film verbraucht.«
    Sie lächelte. Er wußte, warum. Er hörte sich fast an wie sie.
    »Ich hole ihn dir, ja? Ich habe ihn in meinem Zimmer.«
    Sie ging. Er trat zum Fenster im Alkoven und sah in den dunklen Garten hinunter. Die Büsche waren nur undeutliche Schemen, die Wege verschwommene graue Streifen.
    St. James dachte über die Fragmente von Mick Cambreys Leben und Sterben nach, die in dieser Nacht hervorgetreten waren, und fragte sich, wie sie sich zusammenfügten.
    »Simon!« Deborah stürzte außer Atem ins Zimmer. Mit einem Ruck drehte er sich nach ihr um. Sie stand zitternd an der Tür, die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, als wäre ihr kalt.
    »Was ist denn?«
    »Sidney. Es ist jemand bei ihr. Ich hörte eine Männerstimme. Ich hörte sie weinen. Ich dachte, Justin könnte vielleicht ...«
    St. James eilte, so schnell sein krankes Bein es zuließ, aus dem Zimmer und hetzte durch den Hauptkorridor zum Nordwestflügel. Mit jedem Schritt wuchsen seine Furcht und sein Zorn. Die Bilder des Nachmittags kamen ihm in Erinnerung.
    Nur jahrelange Vertrautheit mit den Eigenarten seiner Schwester veranlaßten St. James, vor ihrer Tür innezuhalten und nicht sofort hineinzustürzen. Deborah trat neben ihn, als er lauschend den Kopf an die Tür legte. Er hörte Sidney gedämpft aufschreien, er hörte Brookes Stimme, er hörte Sidney stöhnen. O Gott verdammt, dachte er. Er nahm Deborah beim Arm und führte sie von der Tür weg durch den langen Korridor zu ihrem eigenen Zimmer in der Südecke des Hauses.
    »Simon!« flüsterte sie.
    Er antwortete erst, als sie in ihrem Zimmer waren und die Tür geschlossen hatten. »Es ist nichts«, sagte er. »Mach dir keine Sorgen.«
    »Aber ich habe sie gehört.«
    »Aber ...« Plötzlich wandte sie sich hastig ab. »Ich dachte nur ...« begann sie und gab auf. »Wieso bin ich so begriffsstutzig?« sagte sie lahm.
    Er wollte ihr gern etwas antworten, ihr die Verlegenheit nehmen, aber er wußte, daß jede Bemerkung von ihm es wahrscheinlich nur schlimmer machen würde.
    »Sidney war nie leicht zu verstehen«, sagte er schließlich.
    »Man muß sie einfach lassen, Deborah. Es ist in Ordnung, wirklich.«
    Zu seiner Überraschung drehte sie sich mit einer heftigen Bewegung zu ihm herum und sagte hitzig: »Es ist nicht in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung, und das weißt du auch. Wie kann sie mit diesem Menschen schlafen nach dem, was er ihr heute angetan hat? Ich verstehe es nicht. Ist sie denn wahnsinnig? Oder er?«
    Das war Frage und Antwort in einem. Denn es war in der Tat Wahnsinn, weißglühend und obszön, eine Flamme, die alles niederbrannte, was ihr im Weg stand.
    »Sie liebt ihn, Deborah«, sagte er schließlich. »Sind nicht alle Menschen ein klein wenig wahnsinnig, wenn sie lieben?«
    Sie starrte ihn nur an. Und schluckte.
    »Ach, der Film. Warte, ich hole ihn«, sagte sie.

12
    Das Anchor and Rose profitierte von seiner günstigen Lage, der besten in ganz Nanrunnel. Nicht nur bot es aus seinen großen Erkerfenstern einen prachtvollen, weiten Blick auf den Hafen, der auch dem kritischsten Touristen auf der Suche nach echter Cornwall-Atmosphäre zusagen mußte; es stand auch gegenüber Nanrunnels einziger Bushaltestelle und war infolgedessen das erste Pub, das dem durstigen Reisenden ins Auge fiel, wenn er aus Penzance und von weiter her kommend aus dem Bus stieg. Seine Quadermauern waren aus roh behauenem Granit, das Dach mit Schiefer gedeckt. Es war ein altes Pub, dessen Balkenwerk von Sturm und Salz zerfressen war, und gleich unter seinem Giebel war eine Uhr, deren Zeiger für immer und ewig auf Viertel nach acht standen. Die Innenräume verfielen langsam, aber sicher. Das frühere Cremeweiß der Wände verwandelte sich unter dem Einfluß von ewigem Tabaksqualm und Kaminrauch unaufhaltsam zu einem düsteren Grau. Vom Restaurant in den Schankraum

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