04 - Mein ist die Rache
sah, daß St. James Brookes Leiche nachdenklich betrachtete. »Peter hat damit nichts zu tun«, sagte er. »Es war ein Unfall. Das hast du selbst gesagt.«
»Es würde mich interessieren, ob Peter wußte, daß Brooke gestern abend mit uns gesprochen hat«, sagte St. James.
»Meinst du, Brooke hat es ihm gesagt?«
Lynley wußte, was hinter der Frage steckte. Es war eben der Gedanke, dem er selbst sich nicht entziehen konnte.
»Peter ist kein Killer. Verdammt noch mal, das weißt du so gut wie ich.«
»Dann mußt du ihn finden. Ob er nun ein Killer ist oder nicht, er hat einiges zu erklären, meinst du nicht?«
»Jasper sucht ihn seit heute morgen.«
»Aha, ich habe mich schon gefragt, was er unten in der Bucht zu tun hatte. Er glaubte wohl, Peter wäre dort?«
»Dort oder in der Mühle. Er hat überall nach ihm gesucht. Auch außerhalb der Gutsgrenzen.«
»Sind Peters Sachen noch hier?«
»Ich - nein.« Lynley kannte St. James gut genug, um zu wissen, was für Überlegungen seine Antwort nach sich ziehen würde. Wenn Peter Hals über Kopf aus Howenstow geflohen wäre, weil er wußte, daß sein Leben in Gefahr war, hätte er seine Habseligkeiten zurückgelassen. Wenn er andererseits verschwunden war, nachdem er einen Mord verübt hatte, von dem er wußte, daß er viele Stunden nicht entdeckt werden würde, hatte er Zeit genug gehabt, seine Sachen zu packen und sich in der Gewißheit aus dem Staub zu machen, daß man auf sein Verschwinden erst aufmerksam werden würde, wenn Brookes Leiche gefunden wurde. Immer vorausgesetzt, er hatte ihn tatsächlich getötet. Immer vorausgesetzt, Brooke war tatsächlich ermordet worden. Heute morgen war Lynley der Gedanke, Peter könnte Deborahs Fotoausrüstung gestohlen haben, um sich Kokain zu beschaffen, unerträglich gewesen. Jetzt sah alles anders aus. Denn wie wahrscheinlich war es, daß sein Bruder sowohl mit dem Verschwinden der Fotoausrüstung als auch mit Brookes Tod zu tun hatte? Wenn sein Handeln ganz auf die Beschaffung von Kokain gerichtet gewesen war, weshalb hätte er sich damit aufhalten sollen, Brooke zu beseitigen?
»Wir nehmen die Leiche jetzt mit.« Der Sergeant war zu ihnen getreten. Trotz des Regens roch er nach Schweiß, und seine Stirn glänzte fettig. »Wenn Sie gestatten.«
Lynley nickte kurz und sehnte sich nach einem Whisky.
Angenehmerweise öffnete sich in diesem Moment die Zimmertür, und seine Mutter kam mit einem Teewagen herein, auf dem zwei Kannen, drei Karaffen und mehrere Platten mit Gebäck standen. Ihre Blue Jeans und Schuhe waren schmutzig, das weiße Hemd hatte einen Riß, ihr Haar war zerzaust. Doch ihr Aussehen schien sie überhaupt nicht zu kümmern. Mit selbstverständlicher Autorität sagte sie zu Boscowan: »Ich habe zwar keine Ahnung von Ihren Vorschriften, Inspector, aber es wird Ihnen doch sicher nicht verboten sein, sich etwas aufzuwärmen. Kaffee, Tee, Brandy, Whisky. Nehmen Sie, was Sie möchten. Bitte, bedienen Sie sich.«
Boscowan nickte dankend, und seine Beamten, die das als Erlaubnis nahmen, wandten sich dem Teewagen zu.
Boscowan ging gemächlichen Schrittes zu Lynley und St. James hinüber.
»Hat er getrunken, Mylord?«
»Das kann ich nicht sagen. So gut kannte ich ihn nicht. Aber gestern abend hat er getrunken. Wie wir alle.«
»War er betrunken?«
»Den Eindruck hatte ich nicht. Jedenfalls nicht, als ich ihn zuletzt sah.«
»Und wann war das?«
»Als die Gesellschaft sich auflöste. Gegen Mitternacht. Vielleicht etwas später.«
»Wo?«
»Im Salon.«
»Er hat getrunken?«
»Ja.«
»Aber betrunken war er nicht?«
»Das kann ich nicht sagen. Verhalten hat er sich nicht so.«
Lynley erkannte die Absicht hinter der Frage. Wenn Brooke betrunken gewesen war, so war er aus eigener Ungeschicklichkeit in den Tod gestürzt. War er nüchtern gewesen, so war er gestoßen worden. Doch Lynley wollte an der Unfalltheorie festhalten, ganz gleich, in welcher Verfassung sich Brooke am vergangenen Abend befunden hatte. »Ob er betrunken war oder nicht, Inspector, er war niemals vorher hier gewesen. Er kannte das Gelände nicht.«
Boscowan nickte, aber ob ihn dieses Argument überzeugte, war nicht zu sagen. »Die Obduktion wird uns zweifellos Klarheit bringen«, meinte er.
»Es war dunkel. Die Felswand ist hoch.«
»Dunkel, wenn der Mann in der Nacht da hinausgegangen ist«, entgegnete Boscowan. »Es kann aber auch sein, daß er erst morgens hinausgegangen ist.«
»Wie war er gekleidet?«
Boscowan zuckte leicht
Weitere Kostenlose Bücher