04 The Vampire Diaries - Stefan's Diaries - Nebel der Vergangenheit
werden«, gestand Violet.
»H m, aber das könnten Sie doch immer noch, oder? Wie alt sind Sie denn? Siebzehn?«, fragte Gertrude, während sie sich mit ihrer weißen Leinenserviette den Mundwinkel abtupfte.
»J a«, nickte Violet und seufzte. Nachdem Emma wieder von ihrem Schoß geklettert war, aß Violet gierig weiter, beinahe schneller, als Mrs Duckworth ihren Teller auffüllen konnte. Luke und Oliver konnten ihren Blick kaum von ihr abwenden; ihr Appetit erfüllte sie offensichtlich mit Ehrfurcht. Schließlich hatten sie schon häufiger Wettessen veranstaltet, nur um von Mrs Duckworth mit einem Klaps auf die Finger ermahnt zu werden.
»N un, Stefan, Ihre Familie ist zauberhaft, genau wie ich es mir vorgestellt habe. Mein Mann hat ganz recht, Familie ist wirklich das Wichtigste im Leben.« Gertrude klatschte entzückt in die Hände.
»D a stimme ich Ihnen zu«, erwiderte ich gepresst.
Endlich legte Violet ihre Gabel beiseite und sackte gleich darauf in sich zusammen, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Ihre Augen waren glasig, ihr Gesicht geisterhaft weiß.
»G eht es Ihnen gut, Liebes?«, fragte Gertrude und schob ihren Stuhl zurück. Hastig kam Mrs Duckworth hinzu, um ihr zu helfen.
»S ie hat einen langen Tag hinter sich. Wir sind ziemlich früh aus London aufgebrochen«, erklärte ich hektisch und fragte mich, ob dies der Anfang vom Ende war.
»N atürlich. Nun, ich kann das Gästezimmer herrichten lassen, falls…«
Violet setzte sich wieder aufrecht hin und holte einige Male tief Luft. In dem Bewusstsein, dass aller Augen auf ihr ruhten, strich sie ihr kastanienbraunes Haar zurück und straffte die Schultern. Ihr Lächeln war zu einer Grimasse erstarrt. Dies alles musste eine furchtbare Qual für sie sein. »B itte entschuldigen Sie mich. Aber…« Sie warf mir einen hilflosen Blick zu.
Rasch legte ich meine Serviette neben meinen Teller und stand auf, um Violet zu helfen. Sie musste allein sein und das schnell.
»I ch denke, wir werden einen Spaziergang unternehmen. Wie Sie bereits sagten, Gertrude, die Landluft wird uns gut tun.« Ich zog Violets Stuhl zurück und bot ihr meinen Arm. Sie würde bald sterben und ich konnte nicht zulassen, dass das im Herrenhaus geschah. Später würde ich mir irgendetwas für die Abbotts einfallen lassen– dass sie beschlossen hatte, nach London zurückzukehren, um ihren Arzt aufzusuchen, und dass sie Grüße ausrichten lasse. Nach den vielen Jahren des Lügens war ich es gewohnt, an alle Eventualitäten zu denken.
Oliver rutschte ungeduldig auf seinem Platz hin und her. »K önnen wir jetzt auf die Jagd gehen? Bitte? Ich habe schon ganz viel geübt und du hast es versprochen. Violet kann ja mit uns kommen!«
»O liver!«, tadelte Gertrude. »S tefan wird sich jetzt um seine Cousine kümmern wollen.«
»E in andermal, Oliver«, sagte ich und tätschelte seinen Kopf. »Ü b dich nur schön weiter in der Schießkunst, dann wirst du mir etwas beibringen können, wenn wir das nächste Mal losziehen.« Violet lächelte schwach und erneut plagten mich Schuldgefühle. Auch wenn es keine Absicht gewesen war– ich hatte sie zu Damon geführt und meinetwegen würde sie niemals eine eigene Familie haben. »I ch danke Ihnen ganz herzlich für das wunderbare Essen«, sagte ich und verließ mit Violet am Arm das Haus.
Die Luft war erfrischend kühl und da wurde mir mit einem Mal bewusst, dass der Herbst bereits vor der Tür stand. Je länger ich lebte, umso schneller kam mir der Wechsel der Jahreszeiten vor. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die eine kaum begonnen hatte, bevor die nächste schon anbrach– ganz anders als zu der Zeit, da ich ein Mensch gewesen war und der Sommer eine Ewigkeit zu dauern schien. Das war nur einer der unzähligen Verluste, die ich erlitten hatte; ein Verlust, den Violet nie würde erleiden müssen.
»I ch weiß nicht, was beim Essen über mich gekommen ist«, entschuldigte sich Violet, während ich sie über die Lichtung führte. Ich wollte mit ihr zum Ivinghoe Beacon spazieren, einem recht steilen Hügel, der in früheren Zeiten als Standort für ein Signalfeuer gedient hatte. Der Gipfel dieses Hügels war die höchste Stelle weit und breit und bot eine wunderbare Aussicht über das weitläufige Tal.
Gemeinsam stapften wir durch die saftig grüne, schmale Schlucht, die zum Gipfel führte und jetzt lebendiger schien denn je. Spatzen zwitscherten auf den Ästen, Eichhörnchen raschelten im dichten Gebüsch und der Bach rauschte seiner
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