04 The Vampire Diaries - Stefan's Diaries - Nebel der Vergangenheit
wurde, entdeckten wir ein neues Spiel für uns: das Küssen. Es war herrlich amüsant und unterhaltend und versetzte unsere Herzen bei einem ansonsten langweiligen Picknick in wilde Raserei. Ich hatte nicht nur Clementine Haverford, Amelia Hawke und Rosalyn Cartwright geküsst, sondern auch alle anderen Spielgefährtinnen meiner Kindheit – und gewiss nicht nur einmal. Küssen war nett und aufregend gewesen, aber es hatte das Leben nicht verändert.
Doch dann hatte ich Katherine Pierce geküsst und von da an war nichts mehr so wie zuvor. Jene ersten Küsse schienen bloße Schatten der Ekstase, die ich verspürte, wenn Katherines Lippen auf meinen lagen, wenn ich mich verlor in ihrem berauschenden Duft nach Limone und Ingwer. Wenn ich Katherine küsste, folgte ich nichts als meinem Instinkt. Für einen Kuss mit ihr hätte ich alles getan.
Dieses unstillbare Verlangen hat mein ganzes Leben verändert. Katherine hatte wie Helena von Troja eine Ewigkeit der Zerstörung über uns gebracht. Und doch weiß ich, dass ich – sollte ich jemals dem Tode nah sein –, die Augen schließen und mir Katherines Lippen auf meinen vorstellen würde.
Violet wollte etwas, das ich ihr nicht geben konnte. Sie wollte Liebe und ich konnte ihr lediglich meine Zuneigung bieten. Aber vielleicht ist Zuneigung sogar besser als Verlangen. Denn mein Verlangen war schließlich genau das, was mich getötet hat.
Im Herbst hingen oft dicke Regenwolken über Ivinghoe und tauchten das Gut der Abbotts in einen düsteren, der Dämmerung ähnlichen Nebel, ganz gleich, welche Tageszeit wir hatten. So auch heute. Der wunderschöne Morgen war in einen geradezu schwermütig verregneten Nachmittag übergegangen und jetzt, am späten Abend, saß ich im Halbdunkel meines Cottages und musste mit ansehen, wie Violet immer schwächer und schwächer wurde. Hier waren nur wir beide und der Tod, der mächtige Dritte im Bunde.
»B itte, Stefan!«, rief Violet und warf sich von einer Seite auf die andere, als sie in meinem Bett erwachte. Hastig tauchte ich ein Tuch ins Wasser und drückte es ihr auf die Stirn. Meine Knie waren steif, nachdem ich schon seit Stunden in der gleichen Position verharrte, aber ich wollte nicht einmal für eine Sekunde von ihrer Seite weichen. Ich wusste nicht, ob Violets Schrei das Ergebnis eines Fiebertraums war oder das Zeichen dafür, dass sie in einen Nebel des Halbbewusstseins zurückkehrte.
Violet öffnete die Augen, trüb und milchig. Sie blinzelte. Offensichtlich versuchte sie, mich schärfer zu sehen.
»S tefan, bitte! Bitte, töte mich einfach. Beende es jetzt«, keuchte sie. Ihr Atem klang wie eine rostige Säge auf Metall. In ihren Mundwinkeln hatte sich weißlicher Schaum gesammelt und ihre Arme waren übersät von Kratzern, die sie sich im Schlaf selbst zugefügt hatte, als wolle sie ihren eigenen Körper zerstören. Ich hatte zwar versucht, sie daran zu hindern, aber sie sah trotzdem aus, als sei sie in ein Dornenbeet gefallen. Jetzt allerdings fehlte ihr die Energie, um sich weiter zu verletzen. Es erforderte ihre ganze Konzentration, zu blinzeln und zu atmen.
Ich schüttelte dumpf den Kopf. Ich wünschte, ich hätte tun können, worum sie mich bat– ihre Qual beenden und ihr Frieden schenken. Aber so sehr sie auch flehte, dazu konnte ich mich nicht überwinden, hatte ich mir doch wieder und wieder selbst das Versprechen gegeben, niemals mehr einen Menschen zu töten. Es mochte selbstsüchtig sein, aber das Einzige, was ich für sie tun konnte, war, ihr in den letzten Augenblicken des Lebens trostreich beizustehen.
»B itte!«, kreischte sie hilflos. In der Ferne schrie eine Eule. Es war spät am Abend, die Zeit, zu der sich die Geschöpfe des Waldes zeigten. Ich konnte ihr Blut riechen und ihren Herzschlag hören. Und obwohl Violet sie nicht so deutlich wahrnahm wie ich, wusste ich, dass sie ihre Anwesenheit ebenfalls zu spüren vermochte.
»B ald wirst du an einem besseren Ort sein«, versuchte ich, sie zu beruhigen und hoffte, dass es die Wahrheit war. »B ald wirst du Frieden haben. Und es wird besser sein als hier oder in London– sogar noch besser als in Irland. Besser als an jedem anderen Ort, den du oder ich uns vorstellen können.«
»S tefan, es tut so weh!« Violet schlug gegen den Bettrahmen und warf das Bettzeug zu Boden. Sie blinzelte unruhig.
»S cht.« Ich griff nach ihrem Arm. Aber sie riss sich los, schwang die Füße aus dem Bett und rannte zur Tür, wobei sie sich im Bettzeug verhedderte und
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