04 Verhaengnisvolles Schweigen
wieder in das schlichte, weiß getünchte Zimmer mit dem Eichentisch und den Fotografien von Fletchers glamouröser Exfrau geführt.
Fletcher fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er vermied den direkten Blickkontakt und holte umständlich Biergläser hervor. Hatchley stand am Fenster und schaute raus in die Dunkelheit. Banks setzte sich an den Tisch.
»Worum geht es?«, fragte er, nachdem Fletcher ihm gegenüber Platz genommen hatte.
»Um Stephens Tod«, begann Fletcher zögernd. »Er war mein Freund. Die Sache ist jetzt zu weit gegangen. Viel zu weit.«
Banks nickte. »Ich weiß. Ich habe gehört, dass Ihr Verhältnis zu Nicholas nicht gerade herzlich ist.«
»Sie haben davon gehört? Nun, es stimmt. Ich hatte nie viel für ihn übrig. Aber der alte Mr Walter war wie ein Vater für mich, und ich habe mich immer wie Stephens älterer Bruder gefühlt.«
Banks reichte seine Zigarettenschachtel herum.
»Samstagnacht«, platzte Fletcher plötzlich heraus. »Damals habe ich mir nichts dabei gedacht, es schien ein dummes Spiel zu sein, typisch Nicholas. Jedes Mal, wenn er eine Runde an der Theke bestellte, hat er einen Klaren in Stephens Bier gekippt. Wie gesagt, ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich wusste, dass Stephen bedrückt war - weswegen, weiß ich nicht -, und er schien sich betrinken und seine Probleme vergessen zu wollen. Kein Grund, Ärger zu machen, dachte ich und hielt den Mund.
Diese Familie hat ein Geheimnis, Mr Banks, ein dunkles Geheimnis. Stephen hat es mehr als einmal angedeutet, und ich glaube, es hat etwas mit Nicholas und den Damen zu tun. Obwohl Damen nicht ganz das richtige Wort ist. Wussten Sie, dass er einmal fast Molly Stark aus Relton vergewaltigt hat?«
»Nein, wusste ich nicht.«
»Ja, es wurde vertuscht, wie fast alles, was Nicholas anstellt. Ganz elegant und sachlich.«
»Gab es nicht auch einmal Ärger mit einem Dienstmädchen, als sein Vater noch lebte?«
»Stimmt«, sagte Fletcher. »Er hat sie geschwängert. Aber sie wurde mit Geld zum Schweigen gebracht. Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, man hat ihr die Abtreibung bezahlt und sie weggeschickt. Er hat eine Vorliebe für Mädchen aus der unteren Schicht, wie man sagt. Mädchen aus der Arbeiterklasse, Dienstmädchen, Fabrikarbeiterinnen, Mägde ... Bei Stephens Party letzte Woche habe ich ihn sogar dabei erwischt, wie er Katie Greenock belästigt hat.«
Endlich ergab die Sache einen Sinn, dachte Banks. Nicholas Collier konnte nicht von Frauen aus niederen sozialen Schichten lassen. Cheryl Duggan, Esther Haines, Katie Greenock, Anne Ralston, das Dienstmädchen, Molly Stark: Alle standen gesellschaftlich unter ihm. Auch wenn der Begriff in den letzten Jahren eine Menge von seiner Bedeutung verloren hatte, könnten sie immer noch als Frauen der Arbeiterklasse bezeichnet werden. Offenbar spielte es keine Rolle, was sie als Individuen darstellten; daran war Collier nicht interessiert. Wahrscheinlich besaß er irgendein viktorianisches Bild von der Arbeiterklasse als brodelnde, Gin trinkende, unzüchtige, gebärende Masse. Er drängte sich ihnen auf und wurde gewalttätig, wenn sie protestierten. Sein Zwang hatte wie die meisten perversen sexuellen Praktiken zweifellos eine Menge mit Macht und Demütigung zu tun.
»Als diese beiden Morde hier bekannt wurden, war mir klar, dass irgendetwas Ernstes vor sich ging«, fuhr Fletcher fort und füllte ihre Biergläser nach. »Dieser Detektiv und der junge Bernard Allen. Es war mir klar, aber ich wusste nicht, worum es ging. Immer wenn ich nachgefragt habe, machte Stephen zu. Und sagte mir nur, dass ich es dabei bewenden lassen sollte und es besser für mich ist, wenn ich von nichts weiß.« Er nahm einen Schluck Bier. »Vielleicht hätte ich nicht lockerlassen sollen. Vielleicht wäre Stephen dann noch am Leben ... Aber ich glaube nicht, dass er sich selbst getötet hat. Das wollte ich Ihnen sagen. Ich habe gesehen, dass Nicholas etwas in sein Bier getan hat, und als der Pub zumachte, war Stephen in einem katastrophalen Zustand, schlimmer, als wenn er nur ein paar Gläser getrunken hätte. Und als Nächstes höre ich, dass er tot ist. Angeblich eine Überdosis. Ich wusste, dass er Schlaftabletten genommen hat, aber eine Überdosis ...«
»Ja, Barbiturate«, sagte Banks. »Wenn sie mit so viel Alkohol gemischt werden, wie Stephen Collier im Blut hatte, sind sie so gut wie sicher tödlich.«
»Also war es Mord,
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