040 - Die Faust Gottes
Gelegenheit dazu.«
»Das sollst du, meine Tochter.« Das gütige Lächeln passte nicht zu Rages verwegener Visage, fand Matt. »Das sollst du…«
***
London, 2092 n.Chr. (80 n.CF.)
Dunkelheit fiel über die Ruinen. Als würde die Nacht anbrechen. Dabei war es erst früher Nachmittag. Vereinzelte Schneeflocken schwebten in das schwarze Laub des kleinen Waldes und auf die Autowracks zwischen Waldrand und Klinikruine. Whooler und die Erdlochhauser verkrochen sich ins Gestrüpp und unter die Büsche. Therese raffte ihr Kleid hoch und stieg über Bruchholz und Sträucher. Sie arbeitete sich durchs Unterholz bis zu einer Reihe umgestürzter Baumstämme vor. Auf einem saß der Reverend.
Er bewegte die Lippen im Gebet, streckte die Arme gegen die Baumkronen aus, faltete die Hände, legte sie auf seine Brust. Hin und wieder konnte Therese ihn seufzen oder die Heilige Jungfrau und den HERRN anrufen hören.
Zehn, fünfzehn Schritte entfernt blieb sie stehen. Sie wartete, bis er sich ein paar Mal bekreuzigte und sie dann zu sich winkte. »Ich habe nachgedacht, Vater Pain.« Sie deutete eine Verbeugung an, um sich für die Störung zu entschuldigen. »Vielleicht sind es doch keine Dämonen…«
»Es sind Vampire, blutrünstige Nosferatu!«, unterbrach Pain sie. »Haben Sie nicht die Bisswunden am Hals der armen Menschen gesehen? Sie sind jung, Schwester Therese. Sie wissen noch nicht, mit welch schlimmen Früchten der Bosheit die Hölle schwanger geht! Sie haben noch nicht wie ich erleben müssen, welche Ausgeburten an Grausamkeit auf diese geplagte Erde zu werfen sie imstande ist! Es sind Dämonen, Schwester Therese! Glauben Sie mir, es sind Dämonen…!«
»Ganz gewiss haben Sie Recht, Vater Pain - nur entsinne ich mich, dass meine Mutter einmal über das Westminster Hospital gesprochen hat. Ich war damals neun oder zehn Jahre alt.«
»Und?« Der Reverend wurde neugierig.
»Sie nannte den Namen Westminster Hospital, das habe ich nie vergessen, weil er in meinen Ohren so fremdartig klang. Und dann tuschelte sie mit meiner Großmutter über Dinge, die ich nicht verstand und nicht verstehen sollte. Schreckliche Dinge, das konnte ich an den Gesichtern der beiden ablesen. Jahre später - ich war schon ein junges Mädchen - stieß ich in den Datenbanken unserer Community auf eine Chronik. Darin las ich von einem Mann, der wenige Jahre nach der Katastrophe vor dem Bunkereingang gefunden wurde. Er war aus dem Westminster Hospital geflohen. Kurz bevor er starb, berichtete er, dass Kranke in der Klinikruine hausten. Und dass diese Kranken die überlebenden Ärzte und Schwestern und deren Kinder wie Schlachtvieh hielten…«
»Siehst du? Dämonen!« Der Reverend reckte die Arme zu den Baumkronen. Der Himmel darüber war düster. »Erlöse uns, o HERR, von der Sklaverei des Bösen! Zieh uns voran in den Kampf wie einst in den Tagen Moses' und Joshuas!«
»Amen!«, schloss Therese und bekreuzigte sich, wie um sich selbst Mut zu machen. Pain tat es ihr gleich und stand auf. »Gehen wir und machen dem Spuk ein Ende.« Whooler und seine Gefährten lugten erschrocken aus dem Gestrüpp, als der Reverend den Waldrand ansteuerte.
»Betet für uns und seht die Wunder des HERRN!«, rief Pain laut. Therese erklärte den Lumpenmännern, dass der Reverend und sie nun in die Klinikruine gehen würden, um die Dämonen, die ihre Angehörigen getötet hatten, mit dem Wort Gottes zu bannen.
Whooler und den anderen fielen schier die Augen aus dem Kopf, so weit rissen sie sie auf. Das Entsetzen machte sie sprachlos. Am liebsten hätten sie die Flucht ergriffen, doch eine Mischung aus Neugier und Pflichtgefühl gegenüber dem mutigen Greis und der tapferen Jungfrau hielt sie im Wald fest. Sie kauerten sich im Gebüsch am Rande des ehemaligen Klinikparkplatzes aneinander und beobachteten, wie der Reverend und die Nonne durch die Wrackkolonnen auf den Ruinenkomplex zugingen.
Zwischen den Bäumen vor der rußgeschwärzten Hausfassade drehten sich Pain und Therese noch einmal um und winkten zurück. Der Reverend schlug drei Kreuze in der Luft und murmelte einen Segen. Dann schritten sie zum ehemaligen Haupteingang. Ohne Deckung zu suchen, ohne sich umzusehen - wie Sieger.
Vor dem Eingang holte der Reverend den Hammer, ein Fläschchen Weihwasser und ein großes Holzkreuz aus seinem Rucksack. Er reckte das Kreuz den verkohlten Klinikfassaden entgegen und rief mit lauter Stimme: »Im Namen des dreieinigen GOTTES und im Namen der heiligen
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