040 - Die Faust Gottes
ist auch Weihwasser?«, kam ihm Aruula zuvor.
»Nein, meine Tochter.« Rev'rend Rage lächelte gütig. »Das ist eine Urne, und in der Urne befindet sich der Unterkiefer und ein Rippenknochen der Heilgen Therese.«
Der Name des Sakristei-Saloons wurde Matt ein wenig deutlicher. »Therese? Ich habe nie von einer Heiligen mit diesem Namen gehört.«
»Ich bitte dich, mein Sohn, woher kommt ihr denn?«
Es war das erste Mal, dass der Rev'rend sich für sie interessierte. Bis jetzt schien er sie einfach als gegebene Figuren im Heiligen Spiel zwischen ihm und Gott zu betrachten. Doch er wartete keine Antwort ab. »Die Heilige Therese ist die Gründerin des Ordens der ›Schwestern der barmherzigen Jungfrau‹. Die tapfere Mitstreiterin des Heilgen Rev'rend Pains - in den schweren Jahren nach Kristofluu versuchten sie die verstockten Bewohner der Ruinen von Britana zu evangelisieren…«
Lang und breit erzählte er von der »Heilgen Therese« und dem »Heilgen Pain«, von ihren Heldentaten, von ihrer Festigkeit im Glauben, von ihrem Märtyrertod, und so weiter. Matt hörte nur mit halbem Ohr zu. Ein einziges Stichwort hatte ihn elektrisiert: Britana.
Dieser verwegene Wirrkopf hatte also von den britischen Inseln gehört. Ganz und gar nicht selbstverständlich bei den Bewohnern des amerikanischen Kontinents dieser Zeit.
Als der wilde Mann zwischen zwei Sätzen Atem holen musste, hakte Matt nach. »Britana?«
»Kennst du nicht, mein Sohn.« Rage winkte ab. »Britana kennt niemand hier. Ist ein kleines Kaff irgendwo an der Südwest-Küste, oder eine kleine Insel noch ein bisschen weiter nach Norden oder Osten oder was weiß ich wo…« Er wandte sich um. »Noch ein Glas Weihwasser, Bruder Eddie!« Niemand antwortete, also stand er auf und holte sich sein Getränk selbst in dem Raum hinter der Tür.
»Ein seltsamer Mann«, flüsterte Aruula. Matt glaubte etwas wie Bewunderung oder zumindest Sympathie in ihrer Stimme schwingen zu hören.
»Ein Wahnsinniger«, sagte er leise. »Pass bloß auf, was du sagst…«
Der Rev'rend kehrte mit einer kleinen Amphore Weihwasser und einem halb gefüllten Glas zurück. »Ehrlich gesagt, ich kenn den Weg nach Britana auch nicht genau!«, rief er noch an der Tür. Schon im Gehen schlürfte er an seinem geweihten Wasser. »Sonst wäre ich schon längst mal hin gefahren.« Er ließ sich auf den Stuhl neben seiner Marienstatue fallen. »Eine Wallfahrt zum Sarkophag der Heilgen Therese und des Heilgen Pain -eine Wallfahrt in die alte Heimat, davon träume ich seit meiner Jugend…!«
Er leerte das Glas, stöhnte und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
»Heimat?« Matt horchte auf. Hatte der Mann sich versprochen? »Du kommst aus Britana?«
»O ja, mein Sohn. In den Ruinen Britanas hat mein Urahn das Licht dieser verlorenen Welt erblickt. Der erste unserer Dynastie, der dem Ruf des HERRN folgte und in den Orden der Rev'rends eintrat. Der Heilige Pain persönlich hat ihn getauft.« Aus der Amphore schenkte er sich sein Glas voll. »Auf einem Schlittenschiff namens London brachte er die Reliquien der Heilgen Therese und des Heilgen Pain den Missippi hinauf. Damals, als die halbe Welt noch unter einer Eisdecke lag…«
Rage kippte das Weihwasser in sich hinein. Sein hoher Stuhl wankte bedrohlich, weil er sich dabei weit zurücklehnte.
Aruula räusperte sich. »Apropos Eis… Wie kam es, dass der Eisatem der Echsen…«
»… der Drakullen, meine Tochter, der Drakullen«, korrigierte Rage geduldig.
»… dass der Eisatem der Drakullen dir nichts anhaben konnte?«
»Der Glaube, meine Tochter, allein der Glaube an die Heilige Jungfrau bewirkt dies!« Er griff nach der kleinen Holzfigur, die vor seiner Brust baumelte. »Sie beschützt mich, sodass mir kein Drakull, kein Dämon etwas anhaben kann. Nicht einmal der Leibhaftige selbst.«
»Der Glaube…?« Aruula bekam ihren schönen Mund nicht mehr zu vor Staunen.
»Jawohl, der Glaube!« Rev'rend Rage schlug mit der freien Faust auf den Tisch. »Und ihr beide müsst in Glaubenssachen noch eine Menge lernen, meine Kinder! Also kommt ihr heute Abend zur Messe, klar?«
Matthew Drax schluckte eine harsche Entgegnung herunter. Wenn er den Rev'rend nicht gegen sich aufbringen wollte, musste er dessen Befehlston hinnehmen. Außerdem konnte seine Predigt weitere Informationen enthalten.
Aruula schien auch nichts gegen den Besuch der Messe zu haben, denn sie sagte: »Aber erst will ich baden! Ich hatte in den letzten Wochen keine
Weitere Kostenlose Bücher