040 - Paris, Stadt der Sünde
die Zeit, diese mühsame Archivierung selbst vorzunehmen. Immerhin hat er ein reges Gesellschaftsleben ...“
„Wie wahr“, bestätigte Lydia mit einem wenig damenhaften Schniefen. „Ganz Paris weiß über sein reges Gesellschaftsleben Bescheid.“
„Aber du weißt auch, wie gerne die Leute tratschen.“ Elinor versuchte, die Gerüchte herunterzuspielen. „Vermutlich sind seine Abendgesellschaften nicht verwerflicher als die Feste, die bei Hofe in Versailles gefeiert werden. Die Menschen erfinden gern Geschichten und verbreiten üble Gerüchte, je schändlicher, desto besser.“
„Bist du nicht kürzlich in eines seiner anrüchigen Feste hineingeplatzt?“, fragte Lydia listig. Wieso in aller Welt hatte ihre Schwester plötzlich ihre ablehnende Haltung gegen diesen Mann geändert? Wurde der kühlen und unromantischen Elinor allmählich klar, was ihre Schwester längst wusste? Dass sie sich zu dem schönen und gefährlichen Viscount Rohan hingezogen fühlte?
„Ja, das stimmt“, gestand Elinor beherzt. „Allerdings hat Lord Rohan sich mir gegenüber untadelig verhalten. Du nimmst doch nicht an, er habe irgendwelche Absichten mit mir? Er kann jede Frau in Paris haben, die Hofdamen der Königin nicht ausgenommen. Er findet mich unterhaltsam, mehr nicht.“
Lydia betrachtete ihre Schwester sinnend. Sie trug ein graues Kleid mit engem Mieder, das mehr von ihrer schlanken Gestalt enthüllte, als Elinor normalerweise gestattete. Ein dünnes Fichu im Dekolleté vermochte den zarten Ansatz ihrer Brüste kaum zu verbergen. Das braune Haar wallte ihr lockig über die Schultern. Mit ihren lebhaften braunen Augen, die vollen Lippen und zarten Wangen vor Aufregung gerötet, war sie eine attraktive Erscheinung, was dem Frauenkenner Lord Rohan gewiss nicht entgangen sein dürfte. „Wie kannst du nur so naiv sein?“, schalt Lydia sie gereizt. „Du bist zwar älter als ich, in vieler Hinsicht jedoch wesentlich argloser.
Und ich will nicht, dass ein Mann dich ausnutzt.“
Elinor lächelte starr. „Das, meine Liebe, steht gewiss nicht zu befürchten. Ich schwöre dir, er hat nicht das geringste Interesse an mir, nur an meinem Talent, seine Bibliothek zu organisieren“, hielt sie ihr entgegen.
Und Lydia glaubte zumindest, dass Elinor davon überzeugt war. „Dann ist er ein blinder Narr.“
Elinor lachte. „Mein Schatz, du bist befangen und nicht objektiv. Überlege doch mal: In seinem Fall gereicht mir meine Hässlichkeit zum Vorteil. Ich kann Seiner Lordschaft zur Hand gehen, ohne unsittliche Avancen befürchten zu müssen. Ich hätte nie gedacht, dass ich dem Schicksal einmal für die Harriman-Nase dankbar sein würde.“
„Lass doch diesen Unsinn mit deiner Nase“, schalt Lydia, nun ernstlich aufgebracht.
„Du bist nicht hässlich. Schau bitte in den Spiegel!“
„Ach Lydia, du bist wirklich rührend“, entgegnete Elinor. „Du wirst Mrs Clarke ins Herz schließen, sie ist eine herzensgute Person. Und gleich nach Ostern hole ich dich ab, und wir reisen nach England. Dort beziehen wir ein hübsches Cottage, vielleicht sogar auf den Ländereien unseres Vaters in der Nähe des Dorfes, mit einem schönen Garten, wo wir Gemüse anbauen und Hühner halten. Vielleicht sogar ein paar Enten.“
Elinor erzählt Märchen, dachte Lydia, wollte ihrer Schwester aber die Illusion nicht nehmen. „Oh ja, ich liebe Enten.“
„Aber keine Gänse. Sie sind bösartig und zwicken.“
„Wie wär’s mit Schwänen?“
„Nur wenn wir in der Nähe eines Wassers wohnen. Hübscher Gedanke, ein Haus am See oder am Ufer eines Flusses“, schwärmte Elinor.
„Wenn wir schon dabei sind, Luftschlösser zu bauen, wohnen wir auf jeden Fall am Wasser“, erklärte Lydia. „An einem Bach, der in einen Weiher mündet. Dort können wir Schwäne und Enten halten, aber keine Gänse, und wir werden ein beschauliches Leben als alte Jungfern verbringen. Ich wünsche mir auch Katzen, viele Katzen. Oder jagen Katzen die Enten?“
„Unsere Katzen werden sich mit unseren Enten anfreunden“, erklärte Elinor. „Aber ich bin mir nicht so sicher, ob wir lange zusammen wohnen werden. Du wirst bestimmt bald heiraten.“
„Nicht wenn ich nicht den aufrichtigen Wunsch danach verspüre“, wandte Lydia entschieden ein. „Ich weiß gar nicht, ob ich je heiraten werde. Meine Unabhängigkeit war mir immer schon wichtig, und ich lasse mich nicht gerne bevormunden.“
„Kommt Zeit, kommt Rat“, entgegnete Elinor leichthin. „Wenn wir uns
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