040 - Paris, Stadt der Sünde
erst mal in England eingelebt haben, wirst du einen gut aussehenden Herrn in gesicherten Verhältnissen kennenlernen, der sich unsterblich in dich verliebt. Ich wünsche mir nämlich eine Stube voll Neffen und Nichten, musst du wissen.“
„Dafür ist es, fürchte ich, zu spät, meine Liebe“, erwiderte Lydia und wechselte das Thema. „Wenn es dein Wunsch ist, verbringe ich ein paar Wochen auf dem Land.
Etwas Zurückgezogenheit wird mir nicht schaden. Aber nur unter der Bedingung, dass du mir hoch und heilig versprichst, in Paris nicht zur, zur ...“ Sie suchte nach den richtigen Worten.
„Dass ich in Paris nicht zur Halbweltdame werde?“, half Elinor ihr auf die Sprünge.
„Befürchtest du etwa, ich könnte eine Kokotte werden? Sei bitte nicht albern, Liebes.
Das kann doch nicht dein Ernst sein!“
„Jedenfalls bist du sehr schön“, hielt Lydia ihr entgegen. „Und ich will nicht, dass du in schlechte Gesellschaft gerätst.“
Elinor verfügte über erstaunliche Reserven der Gelassenheit und besaß die bemerkenswerte Gabe, Tiefschläge ohne Gemütsregung einzustecken. Sie lächelte ihrer Schwester in die Augen. „Um mich brauchst du dir wahrhaftig keine Sorgen zu machen, albernes Gänschen“, sagte sie lachend. „Wann habe ich dich je belogen?“
Lydia begegnete ihrem Blick unverwandt. „Öfter, als du zugeben würdest.“ Sie wollte Elinor nicht alleine in Paris zurücklassen. Sie wollte auch nicht meilenweit entfernt von den Verlockungen eines Charles Reading sein. Nicht, dass er eine Gefahr für sie dargestellt hätte. Nachdem er sie in jener Nacht der Feuersbrunst so zärtlich in den Armen gewiegt hatte, hatte sie ihn nicht wiedergesehen und würde ihn wohl auch nicht wiedersehen, wenn sie die nächsten Wochen auf dem Lande verbrachte.
Zweifellos war das einer der Beweggründe ihrer Schwester, diesen Aufenthalt zu befürworten.
Elinor blickte ihre Schwester immer noch forschend an. Lydia spürte ihre mütterliche Fürsorge hinter ihrer gelassenen Miene und fühlte sich schuldig. „Einverstanden“, sagte sie endlich, und Elinors erleichtertes Lächeln genügte ihr als Belohnung.
Sofern ihr Vertrauen in Lord Rohan kein Irrtum war. Nein, er würde Elinor nicht wehtun.
Und wenn, würde er es mit Lydia zu tun bekommen, und sie würde dafür sorgen, dass ihm es sehr, sehr leidtat.
Elinor schlief lange und erwachte mit einem schlechten Gewissen. Sie beeilte sich mit ihrer Morgentoilette, kleidete sich an, ohne auf Jeanne-Louises Hilfe zu warten, und verließ eilig ihr Zimmer. Auf dem Flur stieß sie beinahe mit dem hünenhaften Diener zusammen. Bevor sie ein Wort sagen konnte, hob er sie schwungvoll in die Arme. „Seine Lordschaft wünscht, dass ich Sie transportiere, Madame.“
„Ich bin sehr wohl in der Lage, alleine zu gehen“, protestierte sie, verzichtete aber darauf, sich zur Wehr zu setzen, da das Gesicht des bedauernswerten Burschen ohnehin vor Verlegenheit bereits rot angelaufen war.
„Ich habe meine Anweisungen, Madame. Es ist der Wunsch des Comtes, dass ich Sie trage. Haben Sie bitte Verständnis.“ In seiner tiefen Stimme lag ein flehender Unterton, der Elinors Mitleid erregte. Niemand widersetzte sich Rohans Befehlen, ohne böse Konsequenzen tragen zu müssen.
„Ich will zu meiner Schwester.“
Der Diener wirkte noch verlegener, als kämpfe er mit sich. Dann nickte er und setzte sich in Bewegung.
„Sie gehen in die falsche Richtung“, wandte sie ein.
Er nickte wieder. Vermutlich wartete Lydia in einem anderen Zimmer auf sie.
Die Weitläufigkeit des Hauses war immer noch verblüffend, als er sie durch endlose Korridore trug, die in weitere Korridore mündeten, von denen viele mit schwarzen Tüchern verhängt waren. Sie war froh, den langen Weg nicht alleine zurücklegen zu müssen, da sie sich mit Sicherheit verirrt hätte. Nach Lydias Abreise würde sie sich ausschließlich in ihrem Zimmer aufhalten. Wenn sie Glück hatte, wäre Rohan so sehr mit den Festlichkeiten beschäftigt, dass er vergaß, wo sie war.
Und dann erkannte sie den letzten Korridor, in den der bärenstarke Hüne einbog.
Hier war sie schon einmal gewesen, vor ein paar Wochen, als sie den Hausherrn in ihrem maßlosen Zorn zum ersten Mal zu sprechen wünschte. „Ich glaube nicht, dass meine Schwester sich in Lord Rohans Gemächern aufhält“, stellte sie fest und begann, sich zur Wehr zu setzen. „Jedenfalls will ich ihm das nicht geraten haben.“
Der Diener achtete nicht auf sie, klopfte
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