0400 - Todeszone Silbermond
dahintersteckte, das Resultat war klar: Zamorra sollte hier umgebracht werden. Über kurz oder lang würden die Gräser so groß geworden sein, daß er nicht mehr gegen ihre Stabilität ankam.
Er würde sie nicht mehr umbiegen können, würde nicht mehr zwischen ihnen hindurchschlüpfen können.
Und wenn sie bei ihrem Wachstum auch noch in die Breite gingen, blieb nicht einmal mehr Platz für ihn zum Atemholen…
Da begann er zu laufen. Er mußte so weit wie möglich voran kommen, einem erhofften Wasserlauf entgegen, ehe die Pflanzen ihm den Weg endgültig versperrten…
***
»Was ist das für ein Gebilde?« fragte Nicole fasziniert. »Woraus bestehen diese Häuser?«
Während sie sich der Stadt näherten, betrachtete sie die seltsamen Bauwerke, teils grotesk wirkend, die jede geometrische Variation in sich vereinigten. Die Häuser schienen mit Leuchtpartikeln übersät zu sein, ähnlich der Innenbeleuchtung der Transportvögel. Und auch das Material der schmalen Straßen, die sich scheinbar systemlos zwischen den Häusern hindurchschlängelten, wies diese Eigenschaft auf. Es war, als sei alles von einem fremden, geisterhaften Lichtschein überlagert und durchdrungen, der mit dem Sonnenlicht in direkte Konkurrenz trat.
Bei Dunkelheit mußte es ein wunderbarer Anblick sein…
Gryf räusperte sich. »Es sind keine Steinhäuser«, sagte er. »Vergiß alles, was du von der Erde her kennst. Diese Bauten sind organisch. Sie wurden ebenso gezüchtet wie die Vögel, nur nicht aus tierischer, sondern aus pflanzlicher Substanz. Sie leben. Sie erfassen die Wünsche ihrer Bewohner und gehen darauf ein. Wenn du willst, daß sich die Tür öffnet, tut sie das dort, wo du sie haben möchtest; wenn du willst, daß sie sich schließt, ist anschließend nichts mehr von ihr zu sehen. Ebenso ist es mit den Fenstern. Bei der inneren Raumaufteilung ist es schon etwas schwieriger, weil die Kammern eine bestimmte Größe nicht überschreiten können. Sie müssen den gesamten Aufbau tragen. Auch diese Organhäuser sind innerhalb von Jahrhunderten entwickelt worden.«
Unwillkürlich sah Nicole Merlin an. Doch der Magier zeigte mit keiner Regung, daß Erinnerungen in ihm erwachten. Statt dessen lauschte er Gryfs Erklärung interessiert.
Sie gingen, von den weißgekleideten Druiden flankiert, zwischen den Häusern hindurch. Sie schimmerten in unterschiedlichen warmen Farbtönen, vom dezenten Blaßrot bis zu Braun- und Gelbschattierungen. Das Material wirkte großporig wie alte, faltige Menschenhaut und befand sich in pausenloser, fließender Bewegung. Es sah aus, als würden ständig winzigeWellen darüber hinweg laufen, die diesen optischen Eindruck hervorriefen. Es war, als lebten und atmeten die Wände.
»Den ganzen Tag über möchte ich mir das auch nicht ansehen«, sagte Nicole leise. »Da wird man ja irre bei…«
Gryf lächelte. »Reine Gewöhnungssache. Ich glaube, jemandem, der hier aufgewachsen ist, fällt es genauso schwer, sich an die irdischen starren Steinhäuser zu gewöhnen. Sie sind tot. Man wohnt in einem Sarg.«
»Hm«, machte Nicole.
Teri Rheken schwieg. Sie beobachtete nur aufmerksam ihre Umgebung und achtete auch ein wenig auf Merlin, um ihm notfalls helfen zu können. Hier und da waren Druiden auf den Straßen zwischen den Häusern zu sehen; Männer, Frauen und auch Kinder. Ein wenig beruhigte es Nicole. Es bedeutete, daß es sich bei dieser Stadt um keine Kaserne oder eine Kampfeinrichtung handelte. Und es machte die Druiden selbst auch etwas menschlicher. Allerdings fiel es ihr schon von jeher schwer, Gryf oder Teri sich als Kinder vorzustellen. Nun, bei Gryf war das natürlich so eine Sache; er, der wie ein großer Junge aussah, war immerhin schon über achttausend Jahre alt. Teri war viel jünger, vielleicht Mitte der Zwanzig, aber über ihre Kindheit und Jugendzeit hatte sie noch nie gesprochen, wie Nicole jetzt auffiel. Sie war nicht auf dem Silbermond geboren, war nie dort gewesen – das war auch schon alles, was Nicole wußte.
Aber seltsamerweise hatte sich auch nie die Gelegenheit ergeben, Teri danach zu fragen.
Vor einem Gebäude, das so groß war wie ein irdisches Einfamilienhaus, blieben sie schließlich stehen. Einer der sie begleitenden Druiden trat vor die geschlossene Wand. Es war nicht zu sehen, ob er irgend etwas tat, aber ein schwaches Flimmern bildete sich, dann entstand eine Türöffnung.
»Geht hinein«, sagte der Druide. »Man wird euch holen.«
»Holen? Wohin? Was soll das alles
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