0404 - Die Bande der Toten
er das alles aber hinterher wieder wegwischen müssen. Denn als die Streife von der Staatspolizei den ausgebrannten Wagen fand, war die Leitlinie da, wo sie schon immer war: in der Mitte der Straße. Und sie lief natürlich auch in der Kurve immer schön in der Mitte der Straße entlang.«
Eberhard sah seinen Gehilfen lange an, aber er blickte durch ihn hindurch. In Chicago hatte er gelegentlich Verbrechen aufgeklärt oder von Kollegen über deren Aufklärung gehört, die so kompliziert gewesen war, dass er einfach nichts mehr für unmöglich hielt. Jetzt griff er kurz entschlossen zum Telefon und rief selbst die Mordkommission in Roanoke an. Nach einigem Hin und Her bekam er den Detective-Lieutenant an die Strippe, der die Untersuchungen geleitet hatte.
»Was stimmt bei dem Unfall in den Bergen nicht?«, fragte Eberhard direkt.
»Unfall? Das war kein Unfall«, erwiderte der Lieutenant. »Das war vorsätzlicher Mord. Und einer von der raffiniertesten Tour. Wir haben auf der Straße winzige Reste von selbstklebenden Gummifolien gefunden.«
»Gummifolien?«
»Ja. Es gibt zum Beispiel weiße Gummifolien, genau in der Breite einer Mittellinie, die man auf den großen Highways verwendet, wenn wegen einer Baustelle die Fahrbahnen anders aufgeteilt werden müssen. Dasselbe Zeug gibt es auch in Grau, damit man die ursprünglichen Linien damit überdecken kann. Wenn man das Zeug nicht mehr braucht, kann man es wieder abziehen, sodass die ursprünglichen Leitlinien wieder sichtbar werden. Haben Sie noch nie davon gehört?«
»Nein. Aber so etwas ist da oben in den Bergen verwendet worden?«
»Ja. Offenbar wollte man einen gewissen Stearne Hopkins damit umbringen. Aber die Täter hatten Pech.«
»Inwiefern?«
»Hopkins hat am Abend vorher telefonisch den Diebstahl seines Wagens gemeldet. Jetzt istnicht Hopkins, sondern der Dieb seines Wagens in die Schlucht gestürzt, weil er der falschen Mittellinie folgte.«
»Ach?«
»Ja, so war es. Wir suchen krampfhaft nach Hopkins, weil wir mit ihm darüber sprechen wollen. Aber er gehört zu den fliegenden Händlern, die dauernd unterwegs sind.«
»Haben Sie die Leiche in dem Wagen identifizieren können?«
»Ja. Wir fanden eine Brieftasche, zwar verkohlt, aber unsere Chemiker vollbringen ja manchmal die reinsten Wunder, und aus den Papieren in der Brieftasche geht hervor, dass der Verbrannte ein gewisser David Mertens ist. Wir haben inzwischen rausgefunden, dass Mertens bereits viermal wegen Beteiligung an Bandenverbrechen verurteilt worden ist.«
»Und der Wagen? Ist es zweifelsfrei der Wagen von diesem Hopkins?«
»Ganz eindeutig. Kennzeichen, Motornummer, Fahrgestellnummer - alles stimmt.«
»Danke«, sagte Sheriff Eberhard. »Vielen Dank. Der Bursche ist im Gebiet meines Countys umgekommen, und ich muss einen Aktenvermerk anlegen, auch wenn wir selbst den Fall nicht bearbeitet haben. Nochmals vielen Dank.«
Eberhard legte auf. Er sah seinen Gehilfen an und grinste belustigt.
»Sonnenklar!«, höhnte er. »Unfall! Nacht, Nebel und Müdigkeit!«
»War es vielleicht kein Unfall?«
»Es war keiner. Die Mordkommission ist sicher, dass es ein vorsätzlicher Mord war. Nur hat man den falschen Mann dabei erwischt, weil der dem richtigen vorher das Auto gestohlen hatte. Aber das soll uns nicht interessieren. Schreiben Sie in die Akte, dass es sich um einen Mord handelt, dass ihn die Mordkommission aus Roanoke bearbeitet, und dass wir uns folglich nicht darum zu kümmern brauchen.«
Das war Eberhards Meinung. Aber in diesem Punkte irrte auch er.
***
Nun hatte sich auch Eileen Hopkins zu uns gesetzt. Mit der Schmetterlingsbrille sah sie wirklich nach einer tüchtigen Sekretärin aus, und es fiel einem schwer, sich vorzustellen, dass diese Frau einmal als Bardame in der Lemon Bar gearbeitet haben sollte.
Ich wunderte mich darüber, dass Miss Bella sich zuerst nicht an den Zuchthausaufenthalt von Dempsy Muggon erinnert hatte. Aber dann überlegte ich mir, dass sie auch aus Gründen des Taktes vermieden haben konnte, dieses Thema mit ihrer Sekretärin zu besprechen. Und wenn man jahrelang eine Sache bewusst unterdrückt, kann man sie schließlich auch vergessen.
»Mrs. Hopkins«, fing Phil an, nachdem er ihr auseinandergesetzt hatte, warum wir überhaupt gekommen waren, »haben Sie von Dempsy Muggon kurz vor seiner Verhaftung in New York ein Paket zur Aufbewahrung bekommen?«
»Ja.«
Sie sagte nur dieses eine Wort. Sie saß ein bisschen steif in ihrem Sessel, aber es
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