0405 - Mit Blut geschrieben
das Gestein, wo sich die Gestalt abzeichnete. Er prallte gegen die harte Wand, hatte aber das Gefühl, sie dort noch kälter zu erleben, als sie es tatsächlich schon war.
Eine unnatürliche Eiseskälte kroch durch die Finger, sodass er sich gezwungen sah, seine Hände so rasch wie möglich zurückzuziehen.
Ein Spuk!
Dieser Begriff kam ihm in den Sinn, aber dann war wieder die flüsternde Stimme, die ihm entgegenschwang. »Willst du uns daran hindern, unsere Pflicht zu tun?«
Ascharow stand gebückt und starr. In seinem Kopf rotierte es, denn er hatte die Stimme zwar gehört, aber ihm war auch bewusst geworden, dass nicht die prächtig ausstaffierte Geisterfrau gesprochen hatte, sondern eine andere Person.
Aber wer und wo?
Ascharow drehte sich um.
Er tat es sehr langsam und spürte auf seinem Rücken den Schauer der Gänsehaut.
Und er sah den Gehenkten!
In der jetzt vor ihm liegenden Wandfläche zeichnete sich die Gestalt des Unheimlichen ab. Er hing am Galgen. Die Schlinge war um seinen linken Knöchel geschnürt worden. Er hing mit dem Kopf nach unten, seine Arme pendelten hin und her. Dabei öffneten und schlossen sich die Hände. Dieses Spiel beobachtete Ascharow fasziniert, bis zu dem Augenblick, wo die Pranken Zugriffen.
Es war ein blitzschneller und harter Griff, dem er nicht entkommen konnte. Er spürte noch die Kälte an seinem Hals, dann griffen die Finger zu und ließen nicht mehr los.
Sie kamen dem Russen vor wie kaltes Eisen, er konnte sie nicht wegbiegen.
Kehmet röchelte. Es war mehr ein letztes Aufbäumen, bevor ihn die Schwärze des Todes umfing.
Eine alte Rache hatte ihr erstes Opfer gefunden.
***
In Leningrad war es viel kälter als in London. Als wir aus der Maschine stiegen, hatte ich das Gefühl, der Atem würde vor meinen Lippen gefrieren. Auch Lady Sarah Goldwyn stöhnte unter der strengen Witterung.
»Wärst du mal zu Hause am warmen Ofen geblieben.« Diese Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen, doch Lady Sarah schüttelte den Kopf.
»Das stimmt nicht. Ich fühle mich hier ebenso wohl. Ich muss mich nur an die Kälte gewöhnen.«
»Und wie lange dauert das?«, fragte Suko.
»Keine Sorge, so schnell kriegt man mich nicht klein.«
Das nahm ich der Horror-Oma ohne weiteres ab. Sie war schon immer etwas Besonderes gewesen. Ich stellte den Kragen meines Burberry hoch. In den Mantel hatte ich das Winterfell geknöpft, so drang der kalte Wind wenigstens nicht bis auf meine Haut.
Wir waren avisiert worden. Wie ich Wladimir Golenkow kannte, würde er uns am Flughafen erwarten, und dem war auch so. Zwei Uniformierte rahmten uns nach der Gangway ein und baten uns zu einer Limousine.
Wir fügten uns.
Der Wagen stand in der Nähe. In seinem Innern war es bullig warm. Das Fahrzeug rollte an. Es fuhr in einem großen Bogen weiter und näherte sich einem Seitentrakt des Flughafengebäudes.
Über uns lag ein grauer Himmel. Die Wolken sahen aus wie ein düsteres Meer. Es hatte schon geschneit.
Die Fahrt dauerte nicht lange. Schon bald stoppten wir vor einer breiten Glastür. Dahinter befand sich ein Flur, von dem einige Büros abzweigten. Schon die erste Tür war unser Ziel. Einer der Soldaten klopfte, und ich vernahm eine mir bekannte Stimme.
Wir durften eintreten.
Wladimir Golenkow erwartete uns. Er strahlte, er lächelte, dennoch kam mir alles vor wie eine Maske, als hätte man ihn zu diesem Gefühlsausbruch gezwungen.
»John, ich freue mich, dich zu sehen.« Er umarmte mich, dann war Suko an der Reihe, und schließlich auch Lady Sarah, die wir ihm vorgestellt hatten.
Der Russe hatte sich nicht verändert. Noch immer zeigte sein gescheiteltes Haar die flachsblonde Farbe, das Gesicht wirkte nach wie vor knochig, aber unter seinen Augen lagen dicke Ringe, die ich bei ihm noch nicht gesehen hatte.
»Du siehst schlecht aus, Wladimir«, sagte ich. »Hast du Ärger gehabt?«
Er hob die Schultern. »Es geht, hält sich in Grenzen. Ich war in der letzten Zeit eben viel unterwegs. – Wollen wir fahren?«
»Sicher. Zum Kloster?«
»Ja. Da warten sie bereits auf uns.«
Ich wurde misstrauisch. »Das verstehe ich nicht. Ist das Kloster denn bewohnt?«
»Eigentlich ja.« Er nickte und knetete seine Hände.
»Aber bestimmt nicht von Mönchen«, sagte Lady Sarah dazwischen.
»Nein, es ist eine Schule darin.«
»Das Vampir-Internat lässt grüßen«, meinte Suko.
»Wie?«, fragte der Russe.
Ich schlug ihm auf die Schulter. »Nichts, mein Lieber. Gar nichts. Lass uns
Weitere Kostenlose Bücher