0406 - Mörder-Medium
sagte er. »So nötig wie nie zuvor.«
Saranow zog ihn hinter sich her.
»Stell dich nicht so an, Brüderchen Zamorra«, sagte er. »Das ist hier wirklich nicht kalt. Es gibt Gegenden, in denen du nicht mal richtig Auto fahren kannst. Da müssen die Motoren vierundzwanzig Stunden rund um die Uhr laufen. Geht die Maschine aus, bekommst du sie nicht mehr ans Laufen. Schrott. Eingefroren. Die Finger kleben dir am Metall fest, wenn du was reparieren willst. Bei fünfzig bis sechzig Grad unter Null geht da nichts mehr.«
»Rund um die Uhr?« horchte Gryf auf, der die Gläser neu füllte. »Junge, hast du schon mal was von Abgasen gehört, die die Luft vergiften?«
»Natürlich«, sagte Saranow. »Aber schaltest du den Motor ab, bekommst du ihn eben nicht mehr neu gestartet. Und dann gehst du zu Fuß Hunderte von Kilometern bis zum nächsten Ort. Das mach mir mal vor.«
»Danke«, sagte Gryf. »Ich kann mich beherrschen.«
Zamorra stürzte den Wodka herunter, ließ nachfüllen, und nach dem dritten Glas fühlte er allmählich Wärme durch seinen Körper fluten, ohne sich betrunken zu fühlen.
»Es ist nett, daß man mir in meiner Abwesenheit nicht die Fernheizung abgedreht hat«, sagte Saranow. »Sonst wäre es hier jetzt nämlich saukalt, und es würde ein paar Tage dauern, bis man hier leben könnte. Aber anscheinend haben sie wohl irgendwie mit meiner Rückkehr gerechnet. Wenn ich nur wüßte, was dahinter steckt.«
Zamorra ließ sich auf einem Stuhl nieder.
»Du machst mir richtig Mut, was das Wetter angeht, Brüderchen«, sagte er. »Ich glaube, ich verzichte auf die Besichtigungstour und lasse mich von Gryf zurückbringen.«
»Mut ist russische Erfindung«, versicherte Saranow und schenkte die nächste Runde ein. Zamorra hob mahnend den Zeigefinger. »Brüderchen, wir haben noch nichts gegessen.«
»Na und? Der Kühlschrank ist ohnehin fast leer. Aber Wodka haben wir noch genug. Es sind noch ein paar Flaschen da. Zum Essen werden wir mal schauen, was es in der Kantine gibt. Wie spät ist denn hier überhaupt?« Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Sie stand.
»Na prächtig. Trinken wir noch einen, und dann machen wir uns auf den Weg. Du wirst doch in einen Mantel von mir steigen müssen, Zamorra.«
»Wir machen das ganz anders«, sagte Gryf. »So, wie wir hierher gekommen sind. Du denkst an die Kantine, und wir springen hin.«
»Nichts dergleichen werdet ihr tun, Genossen«, sagte eine rauhe Stimme.
Die drei wirbelten herum.
Lautlos waren Männer im Haus erschienen und drängten sich jetzt in der Tür. Einer war in Zivil, die anderen trugen Uniformen. Und Waffen. Die Mündung einer Maschinenpistole drohte.
»Sie sind verhaftet«, sagte der Zivilist.
***
Major Leonid Sewjestin, der Mann in Zivil, war für die Sicherheit dieses Bereiches von Akademgorodok zuständig. Er war informiert worden, daß eine wissenschaftliche Assistentin während des Vorbeifahrens an Professor Saranows Haus am Stadtrand zwei Personen in der geöffneten Tür gesehen hatte.
Sewjestin hatte sofort zugepackt.
Saranow war unter mysteriösen Umständen spurlos verschwunden. Man rechnete zwar damit, daß er irgendwann wieder auftauchen würde, weil nichts auf eine Entführung oder eine Flucht hindeutete, aber vorsichtshalber hatte man das Haus versiegelt. Und nun war die Tür offen, und zwei Männer standen dort…
Grund genug für Sewjestin, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Er beorderte fünf Soldaten zu sich und drang dann in Saranows Haus ein. Wer konnte so dreist gewesen sein, das Siegel zu zerstören? Wenn jemand legal das Haus betrat, hatte er dies bei Sewjestin vorher anzumelden, oder bei seinem Vertreter. Aber nichts dergleichen war geschehen.
Jetzt starrte Sewjestin die drei Männer an, die sich an Saranows Wodka gütlich taten.
Ein hochgewachsener, dunkelblonder Mann in weißem Leinenanzug und mit rotem Hemd. In dieser relativ dünnen, leichten Kleidung paßte er in das gegenwärtige Nowosibirsker Klima wie die Faust aufs Auge. Der andere, mit wirrem, blonden Haar, das auf die Schultern fiel und anscheinend nie einen Kamm gesehen hatte, trug einen verwaschenen, vielfach geflickten Jeansanzug und gönnte Sewjestin und den Soldaten ein freundliches Lächeln.
Und da war Saranow.
»Sie sind alle festgenommen«, wiederholte der Major. »Ziehen Sie sich Stiefel und Mäntel an und kommen Sie mit. Schnell.«
Saranow starrte ihn an.
»Genosse Major, Sie…«
»Mund halten«, unterbrach ihn Sewjestin.
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