041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
seiner Taschenlampe die sieben Schlösser der einundzwanzigsten Tür. In einer Innentasche seiner Weste verborgen hatte er die beiden geheimnisvollen Schlüssel bei sich. Er zog sie jetzt hervor und probierte sie an den Schlössern. Ein Schlüssel paßte zum vierten, einer zum letzten Schloß. Er drehte an beiden, die Schlösser schnappten zurück, aber die Tür bewegte sich nicht. Unbeweglich hing sie in ihren Angeln. Er begriff, sie würde sich erst öffnen lassen, wenn er alle sieben Schlüssel besaß.
Nun schob er die Platte zurück und betrachtete die Kammer. Eine lange Nische war in die Seitenwand des Felsens gehauen. Dort hatte wahrscheinlich der Sarg gestanden, der die sterblichen Überreste des großen Sünders barg. Aber er mußte in der Feuchtigkeit der Gruft schnell zerfallen sein, denn die Felsnische war leer, nur eine Staubschicht bedeckte den Boden.
Dick steckte die beiden Schlüssel ein und stieg langsam und nachdenklich die von Nässe überronnenen Stufen hinauf. Aber der erste Blick, den er ins Freie warf, ließ ihn erschaudern.
Dicht vor dem Eingang zu den Katakomben lag die Stahlflasche, die er vorher im Grase des Walddickichts entdeckt hatte. So lauerte sein unmenschlicher Gegner also immer noch zwischen den Büschen, lauerte tückisch wie ein Panther, der imstande ist, sein Opfer stundenlang zu umschleichen, bis er sich zum mörderischen Sprung entschließt.
Dick war tapfer bis in die Wurzeln seines Wesens, jetzt aber kroch ihm ein eisiges Gefühl des Schreckens durch alle Adern. Er hob die schwere Stahlflasche mit Anstrengung auf und trug sie bis zum Waldessaum. Dort warf er sie keuchend nieder.
Dann stand er einen Augenblick still und blickte starr in das Dickicht. Alle seine Instinkte hetzten ihn zur Flucht. Aber er zwang sich auszuharren. Mit eiserner Kraft meisterte er seine Nerven, bog mit Händen, in denen aller Tastsinn erstorben schien, die Zweige auseinander, und erst, als er sich vergewissert hatte, daß sein unsichtbarer Verfolger sich nirgendwo am Waldesrand verbarg, schlug er den Weg ein, der zum Herrenhaus führte. Er ging ruhig und gemessen. Er wandte sich nicht um. Aber er hatte die Zähne zusammengebissen, die Hände geballt, und seine gesammelte Energie konzentrierte sich darauf, auch nicht das kleinste knackende Geräusch im Walde zu überhören. Mit einem Gefühl tiefster Erleichterung sah er das flache Tal vor sich liegen, und als das Schloß auftauchte, sah er kaum die kalte Strenge seines Stils und fand es beinahe schön.
Die wilde Bosheit seines unheimlichen Gegners, die Hartnäckigkeit, mit der er ihm nachstellte, ohne seiner Verwundung zu achten, der Todesernst seines mörderischen Willens hoben ihn über die menschliche Sphäre hinaus. Es mußte ein Dämon, ein Besessener sein, ein Wesen, für das es Gut und Böse nicht gab. Der Besuch der Totengruft, die Entdeckung der Tür mit den sieben Schlössern, die doch ganz offenbar nur Staub verbarg, hätte ihn um ein Haar das Leben gekostet, sein Leben und das Sybils.
Und doch schien alles unwirklich und jenseitig gleich dem verworrenen Labyrinth eines Haschischtraums. Dick hatte das Gefühl, als müsse er jeden Augenblick erwachen, um kopfschüttelnd die wilden Ausgeburten seines Hirns zu belächeln.
Nur einmal in seinem Leben hatte er sich außerhalb der Welt greifbarer Verbrechen befunden. Das war in Toronto gewesen, wo eine Reihe unbegreiflicher Katastrophen die Stadt bis in ihre Tiefen erschüttert hatte. Damals war er zum erstenmal dem intelligenten Verbrecher begegnet, der, böse von Grund auf, in seine eigene Bosheit verliebt ist. Er hätte ihn nie gefaßt, wenn er sich nicht schließlich aus Lebensüberdruß selbst verraten hätte.
Der gewöhnliche Verbrecher ist gewalttätig oder verschlagen, entnervt oder gefühllos. Genußsucht treibt ihn zum Verbrechen. Zu bequem oder zu unbegabt, sich das Wohlleben, das er ersehnt, durch Talente und Fleiß zu erringen, einer fortgesetzten Energieanspannung nicht fähig, lebt er als Parasit von dem Erarbeiteten anderer. Er ist schnell in der Bewegung, vielleicht auch gewandt im Erfassen der Situation, aber er ist ohne Phantasie.
Der dämonische Verbrecher aber, der nach den Gütern des Lebens nicht fragt, den das Verbrechen als solches in seinen Bann zieht, den Machthunger oder gar Menschenhaß treibt, ist überlegen durch seine hochentwickelte Phantasie. Er versteht es, sich in die Gedankengänge seiner Häscher zu versetzen und beugt ihren Maßnahmen vor. Sehr oft
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