041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
wich bis zur Pforte zurück und verhielt den Atem. Plötzlich fiel ein Schatten mächtig über die Öffnung hin und verlor sich auf den finsteren Stufen.
Wieder schlug ihr die Angst bis zum Halse. Es schien ihr nicht mehr unmöglich, daß der Riese auch das schwere Tor zur Grabkammer aufbrechen würde, und dann war sie ihm ausgeliefert, konnte ihm nicht mehr entgehen. Aufschluchzend rüttelte sie an den eisernen Stäben. Zu ihrem Erstaunen gaben sie nach. Die Tür war offen. Sie streckte die Hand in die Dunkelheit aus, um ihren Weg zu ertasten, während ihr Gesicht nach oben gerichtet war - dorthin, wo sie ihren Verfolger wußte.
Plötzlich schrie sie gellend auf. Ihre Hand lag im eisernen Griff einer anderen, die sich aus der Finsternis der Gruft nach ihr ausstreckte und sie unwiderstehlich in die Tiefe zog, die den Toten gehörte.
25
Sybil hatte ihren Mund weit geöffnet, und ihre Angst war so groß, daß sie ihre eigenen Schreie nicht hörte. In diesem Augenblick setzte ihr Verstand aus. Sie schlug mit der freien Hand, den Schlüssel wie eine Waffe gebrauchend, in die Luft und verfing sich in einem dichten, unordentlichen Bart.
»Still!« zischte eine Stimme aus dem Grabesdunkel sie an. »Schreien Sie nicht so! Ich tue Ihnen nichts. Wer sind Sie? Was suchen Sie hier?«
Es war eine menschliche Stimme. Die Besinnung kehrte ihr zurück. Ihre Schreie hörten auf. Sie ließ den Bart los. Die unsichtbare Hand gab sie frei.
»Ich bin Sybil Lansdown«, stammelte sie. »Ich - werde verfolgt. Ich wußte keine andere Rettung.«
»Sybil Lansdown?« fragte die Stimme in großem Erstaunen. »Das ist ja phänomenal! Aber nun beruhigen Sie sich, junge Dame! Ich zünde das Licht an. Als Sie vorhin so rasch die Treppe herunterkamen, habe ich meine Laterne gelöscht.«
Ein Streichholz flammte auf. Sybil sah lange, graue Hände mit unsauberen Nägeln. Die Flamme setzte sich auf einem Petroleumbrenner fest. Der Glaszylinder wurde darüber geschoben. Vor ihr stand ein mittelgroßer, dürrer Mann mit einem Gesicht wie verrunzeltes Leder, in dem zwei düstere Augen in tiefen Höhlen brannten. Ein langer, schwarzer Bart verbarg den Schnitt seines Mundes und hing über die Brust herab. Der fleckige, altmodische Gehrock schlotterte über ungebügelten Beinkleidern. Eine kleine, schwarze Kappe verhüllte den Hinterkopf. Er sah aus wie der Hexenmeister einer Walpurgisnacht, aber anstatt daß ein neuer Strahl der Furcht bei seinem Anblick in ihrem Innern aufschoß, beruhigte sich das Klopfen ihres Herzens unter seinem forschenden Blick.
Der Mann hatte offenbar an der Tür mit den sieben Schlössern gearbeitet. Sie sah seine Werkzeugtasche auf dem Boden liegen; ein Bohrer war in den zweiten Metallschlitz eingeführt.
»Sie sagen, man hat Sie verfolgt?« fragte er und hielt ihren Blick wie mit stählernen Klammern fest.
Sie nickte.
»Wer hat Sie verfolgt?« fragte er wieder.
»Ein - fürchterlicher Mensch«, stammelte sie, »ein -Riese!«
»Ein Riese?«
Sein Bart bewegte sich. Unter seinem Schutz verzog er den Mund zu einem Lächeln.
»Und warum verfolgte er Sie, junge Dame. Um drei Uhr nachts! War er so verliebt?«
Sybil zuckte zusammen. Doch sein Blick wirkte wie ein Schlafmittel. Plötzlich konnte sich Sybil an nichts mehr erinnern. Sie wußte weder, warum sie verfolgt worden war, noch woher sie kam. Sie sah nur immer in die schwarze Tiefe dieser blitzenden Augen, in die das Licht der Petroleumlampe fiel.
»Setzen Sie sich«, sagte er gebietend. »Ich mag nicht mit jemand sprechen, der mir bis an die Stirn reicht.«
Er deutete auf eine Bordschwelle. Sie ließ sich gehorsam darauf nieder. Die eisige Kälte des Steinbodens spürte sie nicht.
Der Fremde begann in dem schmalen Gang hin und her zu gehen. Er trug die Lampe in der Hand. Sein grotesk verzeichneter Schatten wandelte mit. Er hatte die buschigen Brauen zusammengezogen und murmelte unverständlich vor sich hin. Sein Blick fiel auf den Bohrer. Er zog ihn aus dem Schloß, legte ihn in die Werkzeugtasche und schnürte sie sorgfältig zu. Die Lampe hatte er inzwischen auf den Boden gestellt. Dann stand er und starrte düster die Tür an. Seine Miene erhellte sich erst beim Anblick der Skelette. Er streichelte zärtlich die kahlen Schädel.
Jäh wandte er sich um.
»Wie alt sind Sie, Sybil Lansdown?«
»Zweiundzwanzig Jahre«, antwortete sie wie im Traum.
»Zu spät - zu spät«, sagte er bedauernd. »Sie sind zu alt für meine Experimente. Ja, hatte ich Sie fünfzehn
Weitere Kostenlose Bücher