0413 - Der Nebel-Vampir
jemand hat mir im Pub was ins Bier getan. Ich bin high und weiß nicht mehr, was läuft…
Er war noch davon überzeugt, als sich die spitzen Eckzähne in seine Halsschlagader senkten.
***
Zamorra und Nicole hatten sich umgezogen. Nicole trug ihren schwarzen Lederoverall, ihren »Kampfanzug«, wie sie ihn nannte, der ihr schon oft bei nächtlichen Abenteuern wertvolle Dienste geleistet hatte. Zamorra hatte sich von seinem »Markenzeichen«, dem weißen Anzug, getrennt und sich in strapazierfähige Jeans, Pullover und Lederjacke gezwängt. Das Amulett trug jetzt Nicole. Vorübergehend hatte Zamorra erwogen, die Silberscheibe doch selbst zu behalten und mit ihr, magisch auf Nicole justiert, der Gefährtin zu folgen. Nicole wollte er statt dessen mit dem einfachsten aller wirkungsvollen Abwehrmittel ausstatten – ihr eine Knoblauchkette um den Hals hängen. Es hatte sich immer wieder gezeigt, daß Vampire der davon ausgehenden Duftnote ebenso auswichen wie einem Kreuz. Aber dann hatte er wieder davon Abstand genommen. Gegen hypnotische Beeinflussung half Knoblauch nicht. Und wenn Hypnose schon bei »normalen« Vampiren zu den grundsätzlichen Fähigkeiten gehörte, dann war bei diesem Exemplar erst gerade damit zu rechnen, das in der Lage war, unsichtbar aufzutreten und widerstandslos durch Autostahl zu dringen.
Nicole war losgezogen, um Cameron den Wagen abzuluchsen. Die achthundert Meter bis dorthin schaffte sie spielend zu Fuß.
Die Kirchturmuhr in Dorfesmitte schlug elf, als Nicole mit dem Wagen wieder auftauchte. Es paßte gerade; Fletcher Growl, der Wirt, verkündete die Sperrstunde. »Last Order, please, gentlemen«, verlangte er – die letzte Bestellung dieses Abends. Zamorra war sicher, daß man das hier im Dorf alles nicht so eng sah, wie man auch in London nach elf Uhr abends noch Alkohol bekam – allerdings nicht im öffentlichen Lokalbetrieb, sondern hinter der abgeschlossenen Tür als geschlossene Gesellschaft, nachdem man sich für eine geringe Summe die »Mitgliedschaft« in einem »Club« erkauft hatte.
Aber Zamorra war ohnehin nicht daran interessiert, hier zum Schluckspecht zu werden.
Er bestellte sein »letztes Bier« nicht mehr, sondern verließ den Pub. Einen Schlüssel für den Hintereingang besaß er, damit sie auch in spätester Nacht noch ins Haus und zu ihren Zimmern konnten, wenn vorn längst alles verriegelt und verrammelt war. Draußen war Nicole soeben vorgefahren. Als Zamorra sich zu ihr auf den Beifahrersitz schwang, sah er eine uniformierte Gestalt nahen und im Pub verschwinden. Der Dorfpolizist war wohl der Ansicht, daß jetzt, zur Sperrstunde, der Abend erst richtig anfing. Denn weder er noch die anderen Gäste verließen den Pub in den nächsten Minuten wieder.
»Wie geht es Cameron?« wollte Zamorra wissen.
»Er hat sich über eine Flasche Brandy her gemacht und die schon fast geleert. In dem Zustand stirbt er höchstens an Alkoholvergiftung, aber nicht an Selbstmordgedanken, weil er dazu gar nicht mehr fähig ist. Ich glaube, er hat gar nicht so recht begriffen, worum es ging, aber er hat mir den Autoschlüssel fröhlich in die Hand gedrückt. Wenn du mich fragst – wir sollten uns morgen mit einem Glas Rollmöpsen und sauren Gurken bei ihm bedanken. Er wird einen Kater haben, hinter dem sich jeder Säbelzahntiger verstecken könnte.«
Zamorra nickte.
»Gut. Gehen wir also nach Plan vor. Hat der Wagen wenigstens Nebelscheinwerfer?«
»Hat er. Habe ich mir schon angeschaut.«
»In Ordnung. Fahr die Strecke nach York ab. Paß auf, es gibt da unheimlich viele scharfe Kurven, und der Nebel wird dichter. Das scheint hier ein ziemliches Nebel-Loch in der Landschaft zu sein, ähnlich wie London. Dabei fließt hier doch nur ein schmales Bächlein.«
»Kleinvieh«, zitierte Nicole, »macht auch Mist. Sieh zu, daß du schnell genug zur Stelle sein kannst, ohne den Jaguar zu Schrott zu fahren. Wäre schade um die teure Kiste. Dann hättest du mittlerweile zwei Autos, die nicht mehr fahrbereit sind.« Sie spielte auf den motorlosen Mercedes an, der nach einem Poltergeist-Angriff jetzt schon längere Zeit in der Dorfwerkstatt unterhalb des Château Montagne sich die Reifen platt stand, weil Zamorra sich nicht zu einem Reparaturauftrag entscheiden konnte.
Er stieg wieder aus. »Viel Glück«, sagte er.
»Waidmannsdank«, erwiderte Nicole und fuhr los. Zamorra sah dem blauen Ford Cortina nach, der auch schon bessere Zeiten erlebt hatte; der Wagen war bestimmt fast zwanzig
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