0417 - Die Straße der Gräber
meiner Zeitebene, also zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.
Wir waren uns fremd. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, daß es zwischen uns etwas Gemeinsames gab, denn die Blicke der sieben waren auf mein Kreuz gerichtet.
Wußten sie etwas? In ihre Augen trat plötzlich ein Ausdruck, für den der Begriff Erstaunen nicht paßte. Besser wäre das Wort Wissen gewesen. Ja, sie wußten etwas.
Und sie sprachen es aus.
Nicht einer, nein alle sieben zur gleichen Zeit, als hätten sie sich abgesprochen.
»Das Kreuz!« So klang es mir entgegen. »Du hast Hectors Kreuz.«
Wäre ein Tisch in der Nähe gewesen, ich hätte mit der Faust drauf geschlagen, so sehr stand ich unter Dampf.
Hector de Valois’ Kreuz!
Ja, sie hatten so recht!
Nicht allein ich war der Träger des Kreuzes gewesen, auch der große Templer-Ritter Hector de Valois hatte es zu seiner Zeit besessen. Welchen Weg es danach genommen hatte, war mir unbekannt. Vielleicht fand ich es irgendwann einmal heraus.
»Ja!« wiederholte ich. »Hesekiels Kreuz, aber auch Hectors. Kennt ihr ihn?«
Der Sprecher schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben von ihm gehört. Er hat in einem anderen Land gelebt, aber sein Ruhm hat sich herumgesprochen. Er überschritt alle Grenzen. Er ist ein mächtiger Mann gewesen, denn nur Mächtige haben Feinde…«
»Wen?«
»Er stand gegen die Hölle und damit gegen den Leibhaftigen und seine schrecklichen Diener. Sie machen Jagd auf die Templer. Du hast die vier Reiter gesehen. Sie bringen die Apokalypse, denn wir stehen ihnen im Weg, deshalb wollen sie die Templer vernichten, wo sie ihrer habhaft werden können. Auch uns haben sie gefangen, an das glühende Höllenrad gebunden und dafür Sorge getragen, daß es uns in dieses Dorf schaffte, wo die Soldaten lauerten, die uns töten sollten. Sie hätten es getan, aber du bist erschienen und hast es verhindert.«
»Ich kam aus einer anderen Zeit.«
»Das glauben wir dir. Bist du der letzte Träger des Kreuzes?«
»Bisher ja. Ich weiß nicht, was nach mir kommt. Leider ist mir der Blick in die Zukunft verwehrt. Vielleicht habe ich einen Nachfolger, vielleicht auch nicht. Ich jedenfalls habe meine Aufgabe, denn als Sohn des Lichts bin ich dazu verpflichtet, mich den Kräften der Hölle zu stellen und damit auch dem Bösen.«
»Das bist du tatsächlich. So ist es auch Hector de Valoisgewesen. Er kämpfte ebenfalls gegen die Mächte der Finsternis, aber auch er hat sie nicht stoppen können.«
»Das wird mir auch nicht gelingen.«
»Aber wie kommst du hierher?« fragte eine der Frauen. »Du bist plötzlich aus der anderen Zeit…«
»Das ist eine sehr lange Geschichte«, sagte ich.
»Erzähle sie uns.«
Ich wußte nicht so recht, wie ich anfangen konnte, überlegte, räusperte mich und entschloß mich dann, sie regelrecht zu schocken, indem ich sagte: »Ihr werdet wiedergeboren!«
Sie antworteten nicht sofort. Ich an ihrer Stelle hätte es auch nicht getan. Zunächst einmal mußten sie ihre Überraschung verdauen, und das dauerte etwas.
»Reinkarnation«, wurde geflüstert.
»So ist es.«
»Wir haben daran geglaubt.«
»Die offizielle Kirche nicht. Wenigstens nicht in eurer Zeit.«
»Das wissen wir. Aus diesem Grunde werden wir auch von zwei Seiten verfolgt. Einmal der Teufel, zum anderen die mächtigen Kirchenfürsten, die sich nicht scheuen, auch weltliche Güter anzunehmen. Aber uns verfolgen sie, weil wir sie auf gewisse Dinge hingewiesen haben, auf ihre Verfehlungen und Verflechtungen. Sie bauen sich prächtige Dome und Grabstätten, aber sie vergessen das Volk. Die Reformation hat eingesetzt, Horden fallen in Deutschland ein…«
»Da hat Hector de Valois gelebt?« fragte ich. »So spät?«
»Ja und nein.«
»Wie soll ich das wieder verstehen?«
»Man hat davon gesprochen, daß auch er mehrmals wiedergeboren wurde. So mußt du es sehen.«
Damit hatte ich nicht gerechnet. Es war für mich einfach neu, aber ich lernte nie aus.
»Doch nun rede weiter«, wurde ich aufgefordert. »Was weißt du noch alles?«
Sollte ich ihnen tatsächlich von den Gräbern berichten, die hier stehen würden? Ich wußte es selbst nicht, aber ich verspürte plötzlich einen inneren Stoß. Es war ein Gedanke, ein Blitztreffer, der mir sagte, daß ich mich beeilen mußte, denn immer hielt die Magie nicht an. Irgendwann in nächster Zukunft würden die Zeiten wieder zurechtgerückt, deshalb drängte es mich auch zu der Antwort.
»Ich habe nicht euch gesehen, ich konnte aber
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