042 - Die Schweinemenschen von Rio
ihr Sohn. Die Kinder, darunter ein schon recht gut entwickeltes, etwa vierzehnjähriges Mädchen, musterten mich neugierig.
»Castelo hat den großen Fehler gemacht, sich die Feindschaft der Macumba zuzuziehen«, sagte der Alte bedächtig. »Ich fürchte, wir können ihm nicht helfen.«
»Vater, wie kannst du so etwas sagen!«, schrie Romero auf. »Gestern Abend noch hast du ganz anders geredet. Zum Bürgermeister von Rio wolltest du gehen, zum Gouverneur des Staates Guanabara.«
»Gestern hatte dein Vater eine halbe Flasche Zuckerrohrschnaps getrunken, um seinen Kummer zu betäuben«, sagte die Mutter. »Wer sind wir? Was können wir gegen die Macumba ausrichten? Zum Bürgermeister und zum Gouverneur gehen? Das sind alles Hirngespinste. Wir bringen die Macumba nur noch mehr auf und machen uns zum Gespött der Leute hier. Ich trauere sehr um Castelo, aber ich muss auch an meine anderen Kinder und an mich und Agosto denken.«
Ein Gefühl der Bitterkeit stieg in mir auf. Das Leben hatte diese beiden Menschen, Romeros Eltern, zerbrochen.
»Ich will Señor Hunter zu einem Macumba-Ritual führen«, sagte Romero, nun schon wesentlich kleinlauter.
»Das kommt nicht in Frage«, entschied der Alte. »Du tust heute Nacht keinen Schritt mehr aus der Hütte. Willst du uns alle ins Elend stürzen?« Er wandte sich an mich. »Sie gehen jetzt besser, Señor! Den Rückweg finden Sie sicher allein.«
Was sollte ich sagen? Ihnen Vorhaltungen machen? An ihren Stolz appellieren oder an ihr Verantwortungsgefühl? Ihnen sagen, dass man den Macumba entgegentreten musste? Das hatte alles keinen Zweck.
»Ich gehe. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.«
Romero brachte mich zur Tür; und trotz des Verbotes seines Vaters begleitete er mich noch ein kurzes Stück.
»Ich schäme mich für meine Eltern. Ich werde fortgehen von hier – bald schon. Ich hatte es schon lange vor.«
»Du musst deine Eltern verstehen. Nicht jeder ist eine Kämpfernatur. Manche werden nach unten gedrückt und kommen nicht mehr hoch. Urteile nicht zu hart über sie! Aber weggehen solltest du von hier. Hier, nimm das, und heb es auf für den Tag, an dem du fort gehst!«
Ich gab ihm fünfzig US-Dollar, was für ihn ein kleines Vermögen war. Im Allgemeinen bin ich nicht sonderlich weichherzig, aber für diesen Jungen konnte das Geld viel bedeuten, mir hingegen würde es nicht fehlen.
Seinen Dank abschneidend, ging ich durch das Armenviertel davon.
Als ich den Hügelpfad hinunterging und schon den Rand des Elendsviertels erreicht hatte, traten plötzlich hinter den Hütten und aus allerlei Verstecken weißbemalte Gestalten hervor. Ich war umringt. Unter den Macumba sah ich den zerlumpten, grotesk gekleideten Priester, der den Auftritt im Stop angeführt hatte. Er schwenkte seinen Totenkopfstab. Sein schwarzes Gesicht grinste mich mit bleckenden Zähnen an.
Diesmal konnte ich die Macumba-Anhänger nicht so leicht einschüchtern und einfach davongehen, das war mir klar. In der Hosentasche trug ich einen 38er Smith & Wesson Revolver, aber er hatte nur sechs Schuss, und zwei Dutzend Männer und Frauen umringten mich. Zudem spürte ich fast körperlich den Einfluss des Dämonischen, dem ich mit Kugeln allein nicht beikommen konnte.
Vor zwanzig Minuten hatte Jeff Parker einen Anruf von Domingo Marcial erhalten, der ihn dringend zu sprechen wünschte, und das Penthouse verlassen. Sacheen und Machu Picchu blieben zurück. Das Fernsehprogramm war bereits beendet, sie saßen im Salon im Untergeschoss und versuchten sich zu verständigen. Es war nicht einfach. Sacheen sprach nur Englisch und Machu Picchu nur Alt-Spanisch und Ketschua. Die Inka-Prinzessin versuchte aber, etwas Englisch zu lernen. Sacheen nannte ihr die Namen der Gegenstände im Zimmer und versuchte mit Zeichensprache, Begriffe zu erläutern.
Da hörten die beiden draußen vor der Tür Grunzen und Scharren. Sie gaben ihre Sprachübungen auf und lauschten angespannt. Kein Zweifel, da war jemand an der Tür. Jetzt pochte es.
Sacheen holte ihre sechs Meter lange Bullpeitsche, mit der sie meisterhaft umgehen konnte – sie hatte einmal bei einem Western-Zirkus gearbeitet – und eine 41-er Remington-Pistole aus dem Gepäck. Jeff Parker hatte die Waffe bereits gespannt; man brauchte sie nur zu entsichern und abzudrücken.
Machu Picchu hatte eine große Scheu vor Schusswaffen. Sie nahm ein Fleischmesser aus der Schublade. Dann schlichen die beiden zur Tür.
Im Flur war es dunkel. Gestank drang zu
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