042 - Die Unsterblichen
brach es aus ihm heraus.
Carter sah verwundert zu ihm hinüber. Sein Kittel war mit Blut bespritzt. Keine Zeit zum Wechseln; sie arbeiteten im Akkord. Die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln, wenn sie nicht das gleiche Schicksal erleiden wollten wie der Rest der Bevölkerung.
»Manche Leute muss man halt zu ihrem Glück zwingen«, machte Carter seine Position deutlich. »Andere wären froh, wenn wir ihnen die gleiche Chance bieten würden. Wirf mal einen Blick nach draußen. Glaubst du, den Wilden macht das Leben, das sie führen müssen, Spaß?«
Natürlich hatte Carter Recht, wie so oft. Er war ein Mann, der sich nicht scheute, unbequeme Realitäten auszusprechen.
Miki spürte ein Jucken im rechten Arm. Er kratzte an der entsprechenden Stelle, obwohl das die verdammten Phantomschmerzen nicht im Geringsten beeindruckte. Ein Heckenschütze hatte ihn bei einem Versorgungsgang durch die Stadt - einige ihrer Gemeinschaft nannten es zynisch Raubzug - erwischt. Carter musste den zerschmetterten Oberarmknochen amputieren, um sein Leben zu retten. Die Prothese, die er seitdem trug, stammte aus Mikis eigener Werkstatt.
Er war Biomechaniker. Ironie des Schicksals. Sein bionischer Arm war so beweglich wie das linke Gegenstück. Künstliche Rezeptoren ersetzten den Tastsinn, computergesteuerte Seilzüge ermöglichten selbst feinste Kleinarbeit. Die äußere Hülle war den Muskelpartien eines echten Arms nachempfunden. Es fehlte nur noch gezüchtete Neo-Haut, um sie zu überziehen, danach konnte er sogar wieder schweißnasse Hände bekommen. Wenn er es wollte.
Die Labortür flog mit einem lauten Krachen auf.
Garth und Lopez schleppte eine Patientin herein, die sich verzweifelt wehrte. Sie war klein und recht füllig, aber die Angst verlieh ihr Riesenkräfte. Die beiden Männer hatten Mühe, sie im Zaum zu halten. Fluchend zerrten sie die Tobende zur Operationsliege.
Miki schloss die Tür und nahm eine Spritze aus dem Sterilisationskasten. Vorsichtig zog er sie auf, klopfte gegen den Kolben, damit die Luftblasen aufstiegen und drückte, bis eine winzige Menge des Betäubungsmittels aus der Nadel schoss.
Die Frau versteifte sich, als er an die Liege trat. Sie war Amerikanerin japanischer Abstammung, so wie er. Aber wen interessierten solche politisch korrekten Ausdrücke noch? Nach »Christopher-Floyd« gab es keine Nationalitäten mehr, sondern nur noch Verdammte, die gemeinsam um ihr Überleben kämpften.
Ängstlich sah sie auf das Instrument in seiner Hand, als ob er eine Axt schwingen würde.
»Was ist das?«
Es hatte wohl dieser Frage bedurft, um Miki den Glauben an die Richtigkeit seiner Mission zurückzugeben. »Das ist eine Spritze«, antwortete er geduldig. »Damit werden Schmerz- und Beruhigungsmittel verabreicht. Das sollte eine Medizinerin eigentlich wissen - selbst wenn sie auf Schönheitsoperationen spezialisiert ist.«
Aber genau da lag das Problem. Die Menschen vergaßen, was sie wussten. Einige schneller, andere langsamer. Einfach so, ohne erkennbaren Grund. Vermutlich hing es mit der verdammten Kometenstrahlung zusammen.
Die Dicke bäumte sich auf, als er ihr das Schlafmittel injizierte, erschlaffte dann aber sehr schnell.. Miki strich ihr sanft über die Wange.
»Keine Sorge, Naoki«, tröstete er seine Kollegin, die langsam in die Bewusstlosigkeit glitt. »Bald geht es dir wieder besser.«
Ein wohlbekanntes Jaulen ertönte in seinem Rücken. Carter prüfte das klobige Instrument, das er in Händen hielt. Die Knochensäge.
Immer wieder drückte er auf den Schalter und ließ das kreisrunde Sägeblatt rotieren. Fünf Zentimeter Durchmesser, gehärteter Edelstahl mit rasiermesserscharfen Zacken. Dem widerstand keine Schädeldecke.
Das Motorgeräusch zerrte an Mikis Nerven.
»Könntest du bitte damit aufhören?«, fauchte er den Institutsleiter an.
Carter verdrehte die Augen und setzte sein Mad Scientist-Gesicht auf, mit dem er zu Halloween die Kinder erschreckte. Es sollte wie Schwarzer Humor wirken, doch Miki ließ sich nicht täuschen. Dem Kerl machte es wirklich Spaß, in die Köpfe anderer Leute zu schauen.
Er legte die Spritze beiseite und machte sich mit Schere und Rasiermesser daran, eine sieben mal sieben Zentimeter große Stelle an Naoki Tsuyoshis Kopf frei zu legen. Danach assistierte er Carter bei der Operation.
***
Zwei Kilometer hinter dem Waldhain stießen sie auf eine natürliche Schneise, der sie folgten, um nicht noch einmal verräterische Spuren in der Prärie zu
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