0420 - Aibons Schlangenzauber
nicht der Fall. Der Garten lag unter einer dünnen weißen Schicht. Die dicken Wolken waren weitergezogen, es hatte aufgehört zu schneien. Wenn Hendricks in den Himmel blickte, sah er die blasse Mondsichel wie einen hellen Schattenriß dort oben stehen. Er dachte daran, daß Menschen den Mond betreten hatten, doch die wahren Geheimnisse des Lebens lagen nach wie vor im dunkeln.
Das brachte ihn automatisch wieder auf die Schlange. Wie war es überhaupt möglich, daß ein solches Tier existierte? Natürlich dachte er auch daran, daß sich jemand einen Scherz erlaubt hatte, aber sehr künstlich hatte diese Schlange nicht ausgesehen.
Pernell Hendricks öffnete die Schuppentür. Er nahm den Geruch von frischer Farbe wahr. Der Schuppen hatte vor einigen Monaten noch einen Anstrich außen und innen erhalten. Licht brauchte der Mann nicht. Er fand sich auch in der Finsternis zurecht. Jedes Gerät hatte im Schuppen seinen bestimmten Platz. Hendricks schob eine Schaufel zur Seite und öffnete die Tür einer ehemaligen Kommode.
Auf einem der beiden Ablagefächer lag griffbereit die Axt.
Mehr wollte er nicht. Sollte sich die Riesenschlange in die Nähe des Hauses wagen, würde er ihr den Kopf abschlagen.
Pernell Hendricks verließ den Schuppen wieder. Er zog die Tür zu, schloß sie aber nicht ab. Auf seinem Gesicht lag ein harter Ausdruck, als er stehenblieb und sich umsah.
Der Garten war leer und dunkel. Über den hellen Glasscheiben trieben dünne Dunstschwaden.
Der Mann hielt die Axt in der rechten Hand. Bisher hatte er damit nur Holz gespalten und einige Äste von seinen Obstbäumen geschlagen. Sie war scharf genug, um die Schlange zu köpfen.
In seinem Haus war es still. Er hörte, wie jenseits der Seitenmauer eine Tür geöffnet wurde. Die Stimme der Nachbarin drang deutlich zu ihm herüber. Sie beschwerte sich darüber, daß die Kinder mit schmutzigen Schuhen ins Haus gelaufen waren.
Ein völlig normaler Januar-Abend. Keiner hatte irgendwelche Lust, noch vor die Tür zu gehen. Die Menschen blieben in ihren Häusern wie Tiere in der Wohnung.
Auch Hendricks wollte wieder zurück. Im Garten hatte er nichts entdecken können. Und mit einer Taschenlampe das Feld absuchen wollte er ebenfalls nicht.
Er ging den gleichen Weg zurück. Seine Frau hatte ihn gehört.
»Ich habe frisch gewischt«, rief sie. »Putz dir die Schuhe ab!«
»Ja, ja«, brummte er und dachte: Meine Güte, die hat Sorgen.
Wenn sie mal stirbt, lege ich ihr noch einen Putzlappen mit in den Sarg. Er wollte seine Frau nicht unnötig ärgern, reinigte die Schuhe sorgfältig und zog sie im Flur auf dem Teppich aus. Die Axt stellte er in den Schirmständer. Da hatte er sie schnell zur Hand, wenn er sie mal brauchte.
»Hast du was entdeckt?« klang ihm die Stimme aus der Küche entgegen.
»Nein.«
»Dann ist mit den Lampen alles in Ordnung?«
»Sicher.«
»Und was machst du jetzt?«
Pernell begann zu lachen. »Ich werde mich vor den Fernseher setzen.«
»Was gibt es denn?«
»Keine Ahnung.« Pernell war schon auf dem Weg ins Wohnzimmer. Er wollte nicht mehr reden. Er wollte eigentlich auch nicht auf den Bildschirm starren. Ablenkung hieß die Devise.
Einfach hinsehen, ohne zu merken, was richtig lief.
Das war alles.
Hendricks setzte sich so, daß er auch den Garten teilweise überblicken konnte. Helma kam. »Ich bin jetzt fertig«, sagte sie und warf einen Blick auf die Mattscheibe. »Schon wieder dieser komische Sänger. Mußt du dir den ansehen?«
»Weshalb nicht?«
»Dazu bist du doch zu alt.«
»Du hörst doch auch deine Beatles.«
»Das war früher.« Sie sagte noch etwas und verschwand in der Küche. Pernell schüttelte den Kopf. Es war schwierig, mit einer Frau wie Helma auszukommen. Die kannte nur ihren Haushalt, ihre Küche, ihre Putzerei und die Glotze.
Er schaltete um. Ein Film flatterte über den Bildschirm. Es war ein Action-Reißer mit Charles Bronson. Hendricks hatte ihn schon gesehen, ließ den Sender aber eingeschaltet.
Schüsse peitschten, eine Scheibe ging zu Bruch. Bronson war in seinem Element. Er kugelte über den Boden und zog seine Kanone.
Irgendwann würde er rotsehen.
Die Schreie der Frau erreichten Pernells Ohren. Sie klangen hysterisch, ängstlich und echt.
Es war aber keine Frau auf dem Bildschirm zu sehen. Nur Charles Bronson, der inzwischen Deckung gefunden hatte und mit schußbereiter Waffe auf seine Gegner lauerte.
Pernells Gesichtsausdruck veränderte sich. Er wirkte wissend, starr und erschreckt
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