0420 - Sie holten sich den grauen Joe
großen Pfütze. Bevor wir noch ausstiegen, entdeckten wir schon das flüchtig gemalte Schild mit der Aufschrift: Wegen Renovierung geschlossen.
»Braniff scheint es ja mächtig eilig zu haben«, sagte ich. »Heute Mittag war der Laden noch voller Leute, und jetzt sind plötzlich die Maler da. Schauen wir uns mal den Betrieb von innen an.«
Rice hatte einen Durchsuchungsbefehl. Erwartungsgemäß öffnete niemand auf unser Klingeln. Ich probierte die Tür und fand sie offen. Hinter Rice trat ich ein und stand in demselben Gang wie ein paar Stunden zuvor. Als wir die Gaststube betraten, hing noch der Rauch und der fade Geruch verschütteten Biers in der Luft. Mehrmals riefen wir, aber es rührte sich nichts.
»Ausgeflogen«, brummte ich und deutete auf die Registrierkasse, die sperrangelweit offen stand. Kein Cent lag mehr in den Fächern.
»Gehen wir in den Keller«, sagte Rice, nachdenklich und schon fast überzeugt von der Richtigkeit meines Verdachts. Ich kannte den Weg. Über die ausgetretenen Stufen kamen wir zu der Stelle, an der ich überwältigt worden war. Ich fand den Lichtschalter drei Schritt neben dem Ende der Kellertreppe. Als das Licht aufflammte, sahen wir sofort die Spuren des Kampfes. Schleifspuren und helle Kratzer zeichneten sich deutlich in dem dunklen und staubigen Fußboden ab.
Ich fand die Nische unter der Treppe, in der die Gegner auf mich gelauert haben mussten. Aber wie waren sie vor mir hierher gelangt? Es musste einen zweiten Ausgang geben. Mehr als eine Minute Zeit hatten sie nicht gehabt. Als wir den Gang in der anderen Richtung entlang gingen, lag des Rätsels Lösung vor uns. Eine zusammenklappbare Leiter lehnte noch an der Falltür, die in der Decke angebracht war.
Ein kräftiger Flaschenzug baumelte herunter. Es war offensichtlich die Luke, durch die Bierfässer nach oben zur Theke gehievt wurden. Hinter der Theke hatte aber Braniff gestanden, als ich Tipton-Gil suchte.
Wir kehrten in das Obergeschoss zurück. An einer Tür klebte das Schild Büro. Da sie ebenfalls unverschlossen war, traten wir ein. Alle Schübe des Schreibtisches waren aufgerissen, aber die Papiere waren nicht auf dem Boden verstreut. Dafür fiel mir sofort die übermäßige Hitze auf. In der Ecke stand ein normaler Ölofen, der noch warm war. »Hier gingen die kostbaren Memoiren unseres Helden in Flammen auf«, sagte ich und drehte die Abzugsklappe zu. Ein Blick zeigte mir, dass der Ofen randvoll mit Papierasche war. Sofort sah ich auch, dass die Asche noch nicht zerkleinert war. Schön in Schichten lag eine Packung auf der anderen. Mit . etwas Mühe konnten unsere Experten noch entziffern, um was es sich gehandelt hatte.
»Der muss ja ein verdammt schlechtes Gewissen gehabt haben«, sagte Lieutenant Rice verblüfft.
Ich kniete schon am Ofen und begann das Geduldspiel. Rice durchsuchte inzwischen alle Schubladen, ohne einen Hinweis zu finden. Dann entschloss er sich, Großalarm zu geben. Braniff war wahrscheinlich mit seinem neuen Lincoln abgefahren. Rice kehrte ins Polizeiquartier zurück, um die Fahndung zu veranlassen.
Ich blieb bei der Asche zurück. Ich wollte nicht auf unsere Experten warten. Mit einem steifen Blatt vom Wandkalender hob ich die verkohlten Ascheschichten ab und untersuchte sie im hellen Schein der Tischlampe. Es war ein mühsames Spiel, bis ich den ersten Hinweis fand, der mich stutzig machte.
Sofort klemmte ich mich ans Telefon und meldete bei der Bell Company ein R-Gespräch nach New York an. Es dauerte zwei Minuten, dann hatte ich Phil an der Strippe. Ich gab ihm genaue Anweisungen durch und bat ihn, sofort Mr. High darüber zu berichten.
Er versprach es und notierte sich meine Wünsche. Ich legte zufrieden auf und machte mich wieder an die Arbeit. Braniff hatte einen entscheidenden Fehler begangen, als er seine Spuren so unvollständig verwischte.
Aber wie hatte er rechtzeitig Wind davon bekommen, dass die Sache schief gelaufen war? In seinem Lokal hatte der graue Joe verkehrt, bevor er ermordet worden war. Ermordet wahrscheinlich, weil ihm etwas zu Ohren gekommen war, das für Braniff und Konsorten zu gefährlich war. Leider hatte mir der graue Joe nichts gesagt, sonst würde er vielleicht noch leben. Aber ich war trotzdem der Gang auf den Fersen. Ihr Coup war mir noch schleierhaft, aber ich würde nicht aufgeben.
Geduldig fischte ich weiter die Asche aus dem Ölofen und untersuchte jeden Quadratzoll. Ein Blatt weißes Papier hatte ich daneben liegen, auf dem ich alles
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