0424 - Das lebende Bild
zwei Seiten. Ich war in das Bild hineingekommen, also mußte es auch einen umgekehrten Weg geben.
Nur – wer sollte ihn mir zeigen? Bestimmt nicht Bilder-Franz, der triumphierte, daß ich endlich ein Gefangener seines Gemäldes war.
Und er genoß seinen Sieg weiterhin.
Wie ein Dieb in der Nacht schlich er um das Bild herum. Es war von der Wand weggezogen worden und stand auf einem Holzgestell. Manchmal, wenn er wieder in mein Sichtfeld geriet, streckte er seine Arme aus, als wollte er über die bemalte Fläche tasten.
Das traute er sich noch nicht. Schließlich blieb er vor mir stehen und nickte mir mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen zu.
Ich hatte das Gefühl, daß es ein Abschiedslächeln sein sollte, und täuschte mich nicht. Er drehte sich plötzlich um, winkte noch hämisch und ging davon. Wohin ihn sein Weg führte, sah ich nicht.
Jedenfalls verließ er den Raum nicht durch den offiziellen Eingang.
Und ich blieb zurück.
Einsam, allein.
Als Figur in einem Gemälde. Jederzeit konnte ich von meinen Feinden manipuliert werden.
Was konnte ich tun?
Im Moment nichts. Mir fehlte einfach die Beweglichkeit, aber ich konnte denken. Und auch reden, wie ich sehr bald feststellte, als ich mich über mein Schicksal mit einem laut gesprochenen »Verflucht« beklagte.
Reden?
Etwas schob sich in meinem Gedankenapparat zusammen und verdichtete sich zu einer Lösung.
Das war es.
Ich mußte etwas rufen.
Und zwar die Formel!
Ich war der Gefangene einer fremden, möglicherweise mir noch unbekannten Magie. Wenn ich die Formel rief, um mein Kreuz zu aktivieren, setzte sich eine andere Magie dagegen.
Und zwar eine sehr mächtige.
Diese Möglichkeit behielt ich zunächst einmal im Hinterkopf und suchte dabei noch nach einer anderen Chance.
Sie war nicht vorhanden.
Es blieben mein Kreuz und die Formel zur Aktivierung.
Noch einmal holte ich tief Luft. Das konnte ich immerhin. Einen Moment später sprudelte ich die Worte hervor.
»Terra pestem teneto – Salus hie maneto!«
Und das Kreuz reagierte, doch auf eine andere Art und Weise, als ich es mir vorgestellt hatte…
***
Seit seiner Einlieferung in das Krankenhaus hatte Kommissar Mallmann keinen so unruhigen Tag gehabt. Zuerst der frühe Besuch seines Freundes John Sinclair, dann der am Nachmittag folgende Anruf von Bill Conolly, der Informationen hatte haben wollen und selbst keine Erklärungen abgegeben hatte. Seinen Zustand hatte Will Mallmann vornehm mit dem Wort bescheiden umschrieben.
Er kam sich so nutzlos vor. Wie oft hatte er sein Büro und seinen Schreibtisch verflucht, weil er lieber draußen an der »Front« arbeitete, jetzt aber sehnte er sich nach den vier Wänden in Wiesbaden zurück.
Tage- und nächtelang hätte er freiwillig dort verbracht, nur um aus diesem verdammten Krankenzimmer zu entkommen.
Die Kugel hatte ihn ziemlich hart erwischt, zum Glück keine lebenswichtigen Organe verletzt, aber die Verwundung war doch so schwerwiegend, daß der Kommissar die nächsten Tage im Bett verbringen mußte.
Und aus den Tagen würden mindestens noch zwei Wochen werden, bevor er aufstehen konnte.
Eine verdammt lange Zeit.
Seine trüben Gedanken wurden unterbrochen, als jemand die Tür öffnete. Dr. Heister betrat das Zimmer, zwei Schwestern im Schlepptau. Sie kamen zur Abendvisite.
»Nun, Kommissar, wie fühlen Sie sich?« Heister blieb neben dem Bett stehen, die Hände hatte er in den Kitteltaschen vergraben.
Will schielte ihn von unten her an. Seine Haut war bleich. Die Römernase stach spitz hervor. »Wollen Sie das wirklich wissen, Herr Doktor?«
»Ja.«
»Aber hier sind Damen im Raum.«
Da mußte der Arzt lachen. »Ja, das kann ich mir schon vorstellen.« Sein Gesicht wurde ernst. »Haben Sie starke Schmerzen, Kommissar, daß Sie so reagieren?«
»Schmerzen ja. Nur andere, als Ihnen bekannt sein dürften.«
»Welche?«
»Ich habe nur eine Frage. Wann komme ich denn hier raus?«
Der Arzt holte tief Luft. »Wann Sie entlassen werden können?«
Er betonte jedes einzelne Wort.
»Dann wären auch meine Schmerzen oder Beschwerden verschwunden.«
»Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Kommissar. Rechnen Sie mit mindestens vier Wochen.«
»Das darf doch nicht wahr sein!«
»Es ist die Wahrheit.«
»Und weshalb?«
»Kommissar, diese Kugel hätte Sie töten können. Sie haben ein unwahrscheinliches Glück gehabt, daß Sie überhaupt noch am Leben sind. Überlegen Sie mal, und rechnen Sie dagegen. Was sind schon vier Wochen
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