0425 - Asmodis jagt den Schatten
in den Lauf.
Entgeistert sah Angelique ihn an. Sie hatte nicht gewußt, daß Maurice eine Waffe besaß. Aber in seinem Zimmer räumte er, so weit es ihm möglich war, selbst auf und konnte deshalb so einiges vor ihren und Yves’ Blick verstecken. Auch Yves wußte sicher nichts von der Waffe, denn er duldete keine Schießprügel in der Wohnung.
Maurice richtete die Pistole auf den Fremden.
»Rühr dich nicht, Freundchen«, warnte er. »Leute, die ohne anzuklopfen hier hereinstürmen, mag ich nicht. Vielleicht stellst du dich bei Gelegenheit mal vor. Angelique, lauf an ihm vorbei nach draußen und hol die Polizei. Er wird dich nicht aufhalten, er will ja weiterleben.«
Angelique zögerte. Noch nie, seit sie sich zurückerinnern konnte, war Polizei in dieser Kellerwohnung gewesen. Noch nie hatte aber auch jemand versucht, bei Yves Cascal, dem Schatten, einzubrechen!
Sie sah, daß der Mann eine silberne Scheibe besaß wie Yves - und das verunsicherte sie noch weiter. Sie dachte an seine Warnung. War dies vielleicht sein Amulett? Hatte der Fremde Yves überfallen oder gar getötet?
»Nun geh schon«, sagte Maurice. »Schnell.«
Sie gab sich einen Ruck und wollte an dem Eindringling vorbei stürmen. Der packte mit der linken Hand zu und hielt sie fest. Maurice schoß. Die Kugel schlug nur einen halben Meter neben Angelique in die rechte Schulter des Fremden.
Im nächsten Moment geschah etwas Unglaubliches.
Der Fremde schleuderte seine rechte Hand. Sie umklammerte, losgelöst vom Armstumpf, Maurices Waffe, entwand sie ihm - und saß in der nächsten Sekunde schon wieder am Arm des Unheimlichen.
Er lachte heiser.
Die Schulterwunde schloß sich. Kein Blut floß. Die Kugel wurde auf unbegreifliche Weise aus der Schulter gedrückt und fiel auf den Linoleumfußboden.
»Ich suche Ombre«, sagte der Unheimliche. »Wo ist er?«
»Wer sucht Ombre? Hast du keinen Namen, Mann?« fragte Maurice mit blassem Gesicht.
Wieder lachte der Fremde. »Ich bin Asmodis.«
***
Es wurde endgültig hell. Die ersten Sonnenstrahlen krochen über den Horizont. Der blaugesichtige Dämon spürte, wie er schwächer wurde. Plötzlich besaß er kaum mehr als die Kraft eines normalen Menschen, der über ein wenig zauberische Kenntnisse verfügte. Der Dämon war froh, daß er es eben noch geschafft hatte, Ombre festzusetzen. Der Verfolgte befand sich in dem Stückgutwagen gefangen. An beiden Seiten waren die Schiebetüren magisch verriegelt. Wer sich drinnen befand, kam nicht mehr heraus.
Somit konnte Ombre nicht mehr entweichen.
Der Blaugesichtige bedauerte, daß er den Gejagten nicht hatte töten sollen. Es wäre ihm diesmal leicht geworden. Hier auf den Zugdächern hätte er ihn nicht verfehlen können. Nicht so wie am Abend in der Stadt, zwischen Autos und Häusern. Aber der Auftrag lautete eindeutig, nur zu beobachten. Und der Blaue hütete sich, mehr zu tun als was ihm befohlen war.
Er wollte nicht noch einmal eine Rüge hinnehmen müssen. Er wollte seinen Namen zurückerhalten. Der Auftraggeber hatte es ihm versprochen.
Hoffentlich kam er bald, um zu sehen, daß der Blaue diesmal gute Arbeit geleistet hatte…
Der Dämon kauerte auf dem Dach des Eisenbahnwaggons und wartete auf seinen Herrn.
***
»Asmodis, der Fürst der Finsternis«, flüsterte Angelique.
Maurice schüttelte seine Überraschung endgültig ab. Er deutete auf die Pistole in der Hand des Eindringlings. »Ein hübscher Trick, Mister. Hypnose, nicht wahr? Sie haben mich hypnotisiert und die Waffe an sich genommen. Wie haben Sie das so blitzschnell geschafft?«
»Maurice, er ist der Teufel«, sagte Angelique.
»So ein Schwachsinn«, wehrte Maurice sich entschieden. »Teufel! Fürst der Finsternis! Asmodis! Der Kerl spielt uns irgend etwas vor. Mann, was wollen Sie von Ombre?«
»Wo ist er?«
»Wir kennen keinen Ombre«, sagte Angelique schnell. »Sie haben wohl die falsche Adresse erwischt, Mister Asmodis, wie?«
Sie starrte die Silberscheibe an, die der Fremde offen vor dem Hemd trug. Sein grauer Anzug klaffte etwas auf. Angelique sah, daß dieses Amulett tatsächlich mit dem ihres Bruders identisch war. Aber anscheinend war es nicht dasselbe. Denn er hätte kaum hier nach Ombre gesucht, wenn er ihn bereits erwischt und ihm diese Silberscheibe abgenommen hätte. Das ließ sie erleichtert aufatmen. Solange Asmodis hier war, war Yves in Sicherheit. Also mußte sie versuchen, Asmodis so lange wie möglich hier festzuhalten. Ihn vielleicht sogar zu überwinden.
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