0427 - Sie entführten ihren Killer
deutlich hören, wie der Verputz der Mauer jedes Mal knirschte und abplatzte, wenn der Mann einen weiteren Schritt nach oben machte. Für mich stand jetzt fest, dass es ein Mann war, ein schwerer Mann. ■
Jetzt war es wieder still. Der andere wartete. Ich schätzte die Stelle ab, an der er zuerst hochkommen musste, da sah ich schon einen dunklen Streifen, der langsam breiter wurde. Etwas schob sich über den silbrigen Rand des Daches. Ich hielt den Atem an. War der andere wirklich so dumm, mit dem Kopf zuerst hochzukommen? Das dunkle Etwas wurde größer und größer. Es wuchs und wurde - ein Hut. Ich verstand in der nächsten Sekunde, was der Mann vorhatte.
Meine Augen tasteten in rasender Eile die Dachkante auf beiden Seiten des Hutes ab. Und beinahe hätte ich ihn übersehen: den winzigen, runden Lauf einer Pistole, der direkt auf mich zielte. Nur daran, dass sich der Lauf leicht bewegte, sah ich, dass der Schütze mich nicht sehen konnte. Er hatte wahrscheinlich vor, die ganze Fläche des Daches mit Kugeln einzudecken.
Ich zögerte keine Sekunde. Mit einem Manschettenknopf klickte ich, so weit mein Arm reichte, auf das Blechdach. Der Lauf richtete sich sofort auf die Stelle, von der das Geräusch gekommen war. Ich sah den plumpen Schalldämpfer und stieß mit dem Fuß zu. Ich hatte die Pistole getroffen. Der Mann unter mir zog scharf die Luft ein, als die Leiter unter ihm wegrutschte.
Ein leises Plopp begleitete den Schuss, und neben mir kreischte das Metall unter dem Streifschuss auf. Ich rutschte näher zu dem Dachrand hin, unter dem jetzt die Leiter mit dem Mann auf den Kies krachte.
Im gleichen Moment schlug mit demselben, leisen Plopp der zweite Schuss direkt neben mir auf das Dach und surrte als Querschläger weiter. Der Schuss konnte nicht von unten kommen. Er kam vom Haus her. Ein Fenster hatte sich geöffnet, aber ich konnte niemanden erkennen. Ich war für den Schützen so gut sichtbar wie ein Kaninchen auf der Betonpiste. Ich machte einen Satz, schnellte mich aus der Hocke nach hinten und sprang, als der dritte Schuss an mir vorbeizischte, auf der hinteren Seite der Garage hinunter.
Ich war kaum in dem weichen Gras gelandet, als auf der anderen Seite wieder ein Pfiff ertönte. Kurz darauf zeigte mir ein schurrendes Geräusch, dass die Leiter wieder zurückgebracht wurde. Ein Mann versuchte, seine Spuren zu beseitigen. Ich warf nur einen kurzen Blick zu dem hohen Garagenfenster hinauf und raste los, überquerte die Rasenfläche und erreichte die Verandatür, durch die ich gekommen war. Ich stieß sie auf, schlüpfte in das dunkle Zimmer und lief über den weichen Teppich zur Vordertür.
Sie war nicht mehr verschlossen. Ich riss sie auf. Draußen war alles still und leer.
Das Garagentor war noch halb offen, das Ende einer Leiter ragte heraus. Ich lief hinüber, knipste die Innenbeleuchtung an und sah die Leiter, den grauen Kittel, der wieder an einem Nagel in der Ecke hing, und ein Paar Arbeitshandschuhe, die neben den Rädern des schwarzen MG lagen.
Die Motorhaube war zwar heruntergelassen, schloss aber nicht dicht. Ich hob sie hoch und bückte mich. Auf dem Zementboden lagen Metallspäne. Ich richtete mich auf und griff durch das Fenster nach dem Lenkrad. Ich ruckelte es ein paar Mal kräftig hin und her und hörte sofort das verräterische Knacken.
Ich schloss die Garagentür, nachdem ich das Licht ausgeknipst hatte, und lief zum Haus zurück. Nichts hatte sich inzwischen verändert. Ich stieß die Tür auf und stand wieder im dunklen Vorraum. Niemand schien die Schüsse gehört zu haben, keiner war aufgewacht.
Irgendwo im Haus mussten eine Pistole und ein Gewehr mit Schalldämpfer sein. Ich ging zu der Tür, die zu Collins Wohnung führte und tastete nach dem Streichholz.
Es war verschwunden.
Meine Hand fuhr noch einmal über die ganze Breite des oberen Türrandes, dann bückte ich mich. Das Hölzchen lag auf dem Boden. Ich riss die Tür auf und rannte durch den Gang. Die Tür von Collins Zimmer war geschlossen. Ich drückte die Klinke leise herunter und sah in das Zimmer.
»Nein!«, schrie eine Stimme erstickt auf. Es war Collin Coleman.
»Ich bin’s!«, flüsterte ich. Er schluckte erleichtert und knipste eine kleine Lampe an und sagte: »Mann, haben Sie mich erschreckt!«
Er hockte mit angezogenen Knien in einem schwarzen Pyjama eng an die Wand gepresst in seinem Bett. Sein Gesicht war fahl, und die Ränder unter seinen Augen tief und dunkel.
»Wer hat geschossen?«, fragte er
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