0429 - Höllenfahrt der Templerkutsche
risikoreich. Aber wer nichts wagte, der gewann auch nichts.
Ich tastete nach meinem Kreuz, aber der Inspektor hatte einen Einwand.
»Nein, nicht das, nur das Siegel. Die Formel könnte helfen.«
»Ich werde wahrscheinlich beide aktivieren.«
»Wäre das so schlimm?«
»Nicht, wenn beide bleiben und mein Kreuz das Siegel nicht zerstört.«
»Daran glaube ich nicht. So wie du mir die Zeichen erklärt hast, ist nichts Negatives dabei.«
»Ja, du hast recht.«
»Also tu es. Ich fühle mich in der Kutsche nicht sehr wohl. Irgendwie habe ich den Eindruck, von einer Seite aus beobachtet zu werden, die ich nicht entdecken kann.«
Sukos drängende Worte hatten meine letzten Zweifel beseitigt. Ich mußte es einfach darauf ankommen lassen.
Wie normalerweise das Kreuz, so lag jetzt das alte Templer-Siegel auf meiner Handfläche. Ein wenig unwohl fühlte ich mich weiterhin, denn was ich vorhatte, konnte man gewissermaßen als Neuland bezeichnen.
Bisher hatte ich die Formel nur für mein Kreuz angewendet und nicht für andere Dinge wie das Siegel.
»Überwinde dich!« Suko nickte mir zu.
Und ich sprach die Formel. Sehr laut und sehr deutlich. Meine Stimme füllte das Innere der Fahrgastzelle aus.
»Terra pestem teneto - Salus hie maneto!«
Das war der Spruch, der bei meinem Kreuz stets die Kraft hervorholte und alles entschied.
So auch hier. Von der Wirkung wurden wir beide völlig überrascht…
***
Jane Collins hatte das Gefühl, als wären kaum Jahre vergangen. Sie fuhr in die City of London, sie nahm alles in sich auf, sie sah viel, mehr als alle anderen Autofahrer, und das schlechte Gefühl in ihr war längst verschwunden.
Sie fühlte sich befreit.
Und plötzlich war sie sicher, genau das Richtige getan zu haben, als sie Frisco den Rücken kehrte. Die Stadt London schien nur auf sie gewartet zu haben.
»Ich komme!« jubelte sie und fühlte sich beinahe wie eine Touristin, als sie den grünen Golf nahe der Oxford Street in einem Parkhaus abstellte.
Sogar einen Platz hatte sie gefunden, was zu dieser mittäglichen Stunde etwas heißen wollte.
Jane Collins schloß den Wagen ab und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Drei Etagen mußte sie laufen, der Fahrstuhl war defekt.
Während andere darüber schimpften, störte es sie nicht. Bei jedem Schritt, den sie tat, schien sie die Weltstadt neu zu entdecken. Vor allem Einkaufsstraßen wie die Carnaby Street wollte sie besuchen.
Als Londonerin hatte Jane selten in dieser Straße eingekauft. Das überließ sie den Touristen, die aus aller Welt herbeiströmten. An diesem Tag jedoch dachte sie anders darüber, da wollte sie die Boutiquen mit den überhöhten Preisen besuchen und die Menschen sehen, die dort flanierten.
Jane Collins genoß sogar die zahlreichen Schaulustigen, die sich über die Gehsteige schoben und die Nasen an den Schaufensterscheiben plattdrückten, hinter denen die neue Frühjahrsmode dekoriert war.
Es würde viel Farbe in diesem Sommer geben. Manche Stoffe glänzten, grün war in allen Varianten Trumpf, aber auch bunte Schuhe oder lässig geschlungene Schals sowie viel Modeschmuck, der, oft übereinandergehäuft, an den Schaufensterpuppen hing.
Wenn Jane an sich herabschaute, war nur der Jeansmantel modern. Ihr Pullover und auch die Hose waren out. Jane wunderte sich, wie viele Frauen bereits die neue Mode trugen. Nach dem langen Winter waren sie es einfach leid gewesen, in dunklen Farben und dicken Stoffen herumzulaufen.
Zu ihrer Zeit als Detektivin hatte sich Jane so manches Teil erlauben können. Das war nun nicht mehr der Fall. Aber es gab wichtigere Dinge für sie. Dazu gehörte eben das Flanieren entlang der Geschäftszeilen, das Sehen und das Gesehenwerden.
Der Druck verschwand allmählich. Jane hatte das Gefühl, sich frei und sicher bewegen zu können. Es war niemand in der Nähe, der sie beobachtete, das hätte sie gespürt, denn tief in ihrem Innern steckte noch immer so eine Art Hexensinn.
Aber nicht nur Kleiderläden zeichneten die Carnaby Street aus. Auch exklusive Parfümerien gab es hier, Juweliere und natürlich die kleinen Cafés, Bars oder Schnellimbisse, die mit den Fish & Chips-Buden nicht zu vergleichen waren.
Nach zwei Stunden Lauferei brannten Janes Fußsohlen. Es wurde Zeit, daß sie sich ein wenig ausruhte. Läden gab es genug. Es war nur die Schwierigkeit, einen freien Platz zu finden.
Es war Janes Glückstag. Sie hatte soeben einen schmalen Laden betreten, als sich zwei Frauen von den Stühlen an einem
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