043 - Die Mordkrallen
öffnete den Kleiderschrank, holte Unterwäsche heraus, schlüpfte in einen winzigen Slip und griff nach dem Büstenhalter, der plötzlich durch die Luft schwebte und dessen Träger sich um ihre Handgelenke legten und sie förmlich fesselten. Verzweifelt versuchte sie sich zu befreien. Das Kleidungsstück schnürte ihr das Blut ab. Ihre Hände wurden weiß. Lilian presste die Lippen zusammen – sie riss mit aller Kraft an den Trägern, doch sie bekam den Büstenhalter nicht herunter.
Sie sprang auf und lief zur Tür. Mit dem rechten Ellbogen drückte sie die Klinke herunter, rannte über den Korridor und stieß die Tür ins Badezimmer auf.
Dorian rieb sich gerade das Kinn mit Rasierwasser ein. Er wandte den Kopf herum, und in diesem Augenblick löste sich die Fessel. Der Büstenhalter hing locker zu Boden.
»Was gibt es jetzt wieder?« Seine Stimme klang ziemlich ungehalten. Langsam hatte er den Eindruck, seine Frau würde jede sich nur bietende Gelegenheit nützen, um sich ihm nackt – oder halbnackt – zu nähern.
Lilian schluckte.
»Ich bekomme den BH nicht zu«, sagte sie matt.
Sie schlüpfte hinein, verstaute ihre Brüste in den Körbchen und hielt Dorian ihren Rücken hin, der mühelos den Verschluss einhaken konnte.
»Danke«, sagte Lilian.
Als sie aus dem Badezimmer gehen wollte, griff Dorian nach ihrer Schulter und drehte sie zu sich um.
»Was ist mit dir los?«, fragte er. »Wollen wir nicht mit offenen Karten spielen? Was hat das alles zu bedeuten?«
Ihre Augen waren weit aufgerissen. »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie leise, riss sich los und lief zurück ins Schlafzimmer.
In ihrem Gesicht arbeitete es. Sie hatte Angst, nach einem Kleid zu greifen, fürchtete, dass wieder etwas Unerklärliches geschehen würde.
Endlich überwand sie ihre Scheu und griff nach einem einfachen blauen Leinenkleid. Nichts geschah. Sie schlüpfte in das enganliegende Kleid, zog es gerade und sah in den Spiegel. Sie fand sich sehr hübsch. Nichts Abnormales war zu bemerken.
Zwanzig Minuten später hatte Lilian das Frühstück fertig. Dorian war ziemlich überrascht, dass er mit gutem Appetit aß. Der Speck war genau richtig gebraten, der Toast perfekt und das Spiegelei genau so, wie er es wollte. Der Tee war stark und dunkel.
Er schob sich eine Scheibe gebratenen Speck in den Mund, und Lilian sah ihm dabei zu. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Sie keuchte und wandte den Kopf ab.
Dorian legte das Besteck zur Seite.
»Was ist denn nun los?«
Nur mühsam konnte er seinen Unwillen verbergen.
Lilian schüttelte den Kopf. Das Frühstück war für sie zu einem einzigen Albtraum geworden. Bei der Zubereitung hatte es keine Schwierigkeiten gegeben, doch als Dorian zu essen begonnen hatte, war alles wieder unwirklich geworden. Der Tee sah wie Jauche aus – und er roch auch so. Die Toastschnitten bildeten seltsame Muster – Totenschädel, die von zersplitterten Knochen umgeben waren. Der Speck erinnerte an zusammengedrückte Regenwürmer, und der Dotter des Spiegeleis war giftgrün.
»Jetzt will ich endlich wissen, was mit dir los ist«, sagte Dorian wütend. »Sag mir die Wahrheit!«
»Ich kann nicht.« Lilian barg ihren Kopf zwischen den Händen. »Ich kann es dir nicht sagen.«
»Ich muss es wissen«, sagte er wütend. »Du siehst ja aus, als hättest du etwas ganz Scheußliches gesehen. Was war es?«
Sie warf dem Tisch aus den Augenwinkeln einen Blick zu. Alles schien wieder normal zu sein. Sie legte die Hände in den Schoss und versuchte ein Lächeln, das ihr misslang.
Der Dämonenkiller bezähmte seinen Ärger. »Hat es etwas mit deinem Albtraum zu tun?«
Lilian zuckte leicht zusammen.
Dorian schob seinen Teller zur Seite und musterte seine Frau.
»Du benimmst dich schon die ganze Zeit seltsam«, sagte er freundlich.
Lilians Lippen bebten.
»Du würdest mich für verrückt halten, Rian«, sagte sie tonlos.
»Ich kann dir nur helfen, wenn ich weiß, was du hast.«
Lilian presste die Lippen zusammen.
»Ich will nicht in die Klinik«, flüsterte sie. Ihr Gesicht verzerrte sich, und Tränen rannen über ihre Wangen.
Der Dämonenkiller setzte sich neben seine Frau, und sie drückte sich an ihn und schluchzte. Ihre Tränen tropften auf sein Kinn.
»Weine nicht, Liebling«, sagte er leise und streichelte sie beruhigend. »Sag mir, bitte, was du hast!«
»Es ist alles so schrecklich«, seufzte Lilian. »Ich sehe Dinge, die es nicht gibt.«
Endlich war der Bann gebrochen, und Lilian erzählte ihm
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