0431 - Der Gentleman-Killer
Harold J. Claymore nicht mehr bewundern. Er saß in einer Ecke des Zimmers tief zurückgesunken in einem Sessel vor der Bücherwand und hatte den Kopf tief auf seine Brust gesenkt. In der rechten Hand, die lose herunterhing, lag eine kleine Automatic, aus der offensichtlich das schwarze runde Loch in Claymores Stirn stammte.
Auf der anderen Seite des Zimmers stand eine schlanke, große Frau mit dem Rücken zu uns und starrte auf den Himmel und den Hudson hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Irgendwo in der Wohnung hörte man die hellen Stimmen von zwei Kindern und dazwischen eine etwas dunklere Frauenstimme. Neben dem Toten arbeiteten zwei Mann vom Spurensicherungsdienst und der Doc der Mordkommission West. Neben ihm stand Captain Kelly, der uns jetzt entgegenkam.
Wir begrüßten uns, und er berichtete kurz, was er wußte:
Das Hausmädchen hatte heute morgen beim Aufstehen festgestellt, daß im Salon noch Licht brannte. Sie hatte nachgeschaut und Claymore so gefunden, wie er jetzt noch sitzt. Claymores Frau hatte gesagt, ihr Mann wäre am Abend weggefahren, wahrscheinlich zum Wochenendhaus, um etwas zu segeln und auszuspannen. Sie hatte ihn nicht zurückkommen hören. Erst durch die Schreie des Mädchens wurde sie wach. Offensichtlich fuhr Claymore oft allein zu dem Wochenendhaus. Er bekam selten Besuch und führte mit seiner Familie ein zurückgezogenes Leben.
Der Arzt hatte festgestellt, daß einwandfrei Selbstmord vorlag, außerdem hatte man einen Brief gefunden, dessen Handschrift die Frau als Claymores erkannt hatte. Captain Kelly gab uns einen sauberen Bogen Briefpapier, auf dem mit sicherer, flüssiger Handschrift stand:
»Liebe, verzeih, daß ich Dir das antue, aber ich kann es nicht ertragen, unser bis heute so harmonisches Zusammenleben durch meine Krankheit zerstört zu sehen. Lieber verlasse ich das Leben im schönsten Augenblick. Und bleibe damit auch Dir so in Erinnerung, wie ich war. Dein Harry.«
»Klingt ja sehr selbstlos. War er wirklich krank?« fragte ich.
»Wir haben bis jetzt nichts feststellen können«, sagte Kelly. »Sein Hausarzt hat gesagt, Claymore sei für sein Alter überdurchschnittlich gesund gewesen, er hat sich regelmäßig untersuchen lassen.«
»Sieht so aus, als wollte er seiner Frau nur einen Grund für den Selbstmord geben, oder?« meinte Phil. Captain Kelly hob die Schultern.
»Wenn er es tat, weil er einen Skandal fürchtete, dann ist das nur verständlich. Er wollte sie schützen, sie und den Namen.«
Wir hatten leise gesprochen, aber Mrs. Claymore schien die letzten Worte gehört zu haben. Sie kam zu uns herüber und wartete, bis Captain Kelly ihr gesagt hatte, wer wir waren.
»Bestehen irgendwelche Zweifel, daß mein Mann sich selbst getötet hat?« fragte sie mit bemerkenswert beherrschter Stimme.
»Leider nein«, sagte ich. »Es sind allerdings noch ein paar Fragen zu klären.«
»Bitte!« forderte sie mich auf. Ihre Augen waren kühl, aber ich merkte, daß sie sich nur mit äußerster Mühe aufrechthielt.
»Wie sind Ihre Vermögensverhältnisse?«
»Ich habe Geld von meinem Vater. Harold hatte sein eigenes Geld. Wir waren beide — wohlhabend.«
»Wie sind seine finanziellen Verhältnisse jetzt?«
»Ich weiß es nicht, nehme aber an, gut.«
»Wußten Sie von seiner Krankheit?«
»Nein.« In ihren Augen erschien ein Ausdruck der Verwirrung, und ich wechselte schnell das Thema:
»Waren Sie oft in dem Wochenendhaus?«
»Meistens war er allein. Oft fuhr er nur für einen Nachmittag hin, manchmal blieb er über Nacht. Ich dachte mir deshalb gestern nichts dabei. Er hat dort kein Telefon.«
Sie merkte plötzlich, daß sie unbewußt wieder die Gegenwartsform für Claymore benützt hatte und schluckte. Ich zwang mich, weiterzusprechen.
»Es tut mir sehr leid, aber ich habe noch eine Frage.« Sie nickte schweifend. »Mrs. Claymore, Sie kannten Ihren Mann sehr gut. Gab es irgend etwas, was er verbergen wollte? Hatte er eine Leidenschaft? Spielte er, wettete er?«
»Wie können Sie es wagen!« sagte sie leise, aber schneidend. »Mein Mann war der gütigste und beste und…« Sie brach ab, ich ließ ihr etwas Zeit, bevor ich fragte:
»Finden Sie es nicht merkwürdig, daß er sich hier erschoß? Er mußte sich doch denken, daß die Kinder ihn finden könnten.«
Eine Zeitlang sagte sie nichts, und ich dachte schon, daß sie mich überhaupt nicht gehört hätte, aber dann hob sie langsam den Kopf.
»Ich habe darüber nachgedacht. Ich glaube nicht, daß er es hier
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