0434 - Die Mörderspinne
fort. Irgendwohin. Als sie die Augen wieder öffnete, war die Flasche weg.
Sie konzentrierte sich darauf, genau diese Flasche wieder herbeizuholen. Nicht irgend eine, sondern genau diese.
Sie fühlte das schwache Kribbeln, und dann war die Flasche da.
Sie mußte es sein. Der Zufall wäre zu groß gewesen, daß irgendwo in Marinas noch immer unbekannter Reichweite eine Wodkaflasche stand, die genau so weit gefüllt war wie diese. Marina hatte sich den Pegelstand der Flüssigkeit ganz genau gemerkt.
Es hatte funktioniert!
Sie machte einen Luftsprung. Es war phänomenal! Ohne zu ahnen, daß in diesem Moment Saranow und Dembowsky bei ihrem Planungsgespräch Experimente dieser Art auf die Tagesordnung setzten, beschloß sie, ihnen den Vorschlag dieses Versuchs zu machen. Und es würde funktionieren, das wußte sie ja jetzt.
Wieder dachte sie an die Spinne.
Vielleicht sollte sie sie einmal versuchsweise wieder zu sich holen. Damit war dann zwar nicht gesagt, daß sie es wirklich war, aber mit einem kleinen Farbtupfer würde sie sie markieren und dann das Experiment wiederholen. Sie zweifelte nicht daran, daß es bei diesem Insekt genauso klappen würde wie bei der Wodkaflasche.
***
In Professor Saranows Büro lief das Radio mit gedämpfter Lautstärke. Ein Lokalsender beendete sein folkloristisches Musikprogramm und brachte Nachrichten. Fedor Dembowsky drehte die Lautstärke etwas höher und lauschte. Er interessierte sich für die aktuelle Tagespolitik. Aber wann veränderte sich hier schon einmal etwas? Die Probleme mit Versorgung und Unabhängigkeitsbestrebungen der diversen Republiken waren doch nichts Neues mehr.
Plötzlich wurde auch Akademgorodok erwähnt.
›… werden gebeten, bei Sichtung dieser Spinne unverzüglich die Polizei zu verständigen, welche die notwendigen Schritte zum Einfangen des monströsen Insektes einleiten wird, dessen Herkunft noch ungeklärt ist…‹
Saranow und Dembowsky sahen sich an.
»Spinne? Monströs? Einfangen? Haben die ’nen Vogel?« brummte Dembowsky, den es bei der Vorstellung schüttelte, diese Spinne, die als annähernd rattengroß beschrieben wurde, könne ihm über den Weg laufen. Diese Größe erreichten doch nur Vogelspinnen, aber die gab’s in diesen Breiten nicht.
»Gestern abend war sie doch nur drei bis vier Zentimeter groß«, murmelte Saranow, und im nächsten Augenblick begriff er, was er da gesagt hatte, weil Dembowsky ihn aus großen Augen anstarrte.
»Gestern abend, Genosse Professor? Gestern…?«
»Ja, gestern…«, und dann erzählte Saranow von seiner Begegnung mit dem Taxifahrer, aus dessen Wagen diese Spinne gewieselt war, von der niemand sagen konnte, wie sie in das Auto gelangt war.
»Marina?« entfuhr es Dembowsky, der anschließend sofort heftig den Kopf schüttelte. »Die Spinne, die sie da hatte, war doch gerade mal daumennagelgroß…«
Saranow war elektrisiert. »Sie meinen, unser hübsches Medium könnte diese Spinne mit ihren Para-Kräften herbeigezaubert haben?«
»Aber nicht gestern abend, Professor! Denn die Spinne war normal klein, sonst hätte sie ja gar nicht auf…«
»Auf…?« hakte Saranow nach, als sein Assistent still und blaß um die Nase wurde.
»Auf der Zunge!« keuchte Dembowsky. »Sie hatte sie auf ihrer Zunge materialisiert, verdammt! Der Teufel soil’s doch holen, daß ich gerade jetzt wieder gezwungen bin, mich daran zu erinnern…«
Er kämpfte sichtbar gegen Brechreiz an.
»Auch wieder einer ihrer Scherze wie gestern im Labor mit dem aggressiven Fliegenschwarm?« überlegte Saranow. »Aber Sie haben recht, Fedor Martinowitsch. Sie kann nichts damit zu tun haben. Erstens wegen der Größe der Spinne, und zweitens, weil sie sie ja zu sich hätte holen müssen…«
Aber Saranow mußte wieder an seine Beobachtung von gestern abend denken. Der Taxifahrer war immer noch nicht in Saranows Büro aufgetaucht und würde wahrscheinlich auch nicht mehr kommen, aber vielleicht hörte er die Nachrichtensendung mit und meldete sich jetzt bei der Polizei.
Saranow selbst griff jedenfalls zum Telefon.
***
Marina schloß die Augen, dachte an die Spinne vom vergangenen Abend und konzentrierte sich. Das Kribbeln, das sie spürte, war normal. Was sie dann sah, als sie die Augen wieder öffnete, war es nicht.
Sie hatte eine Spinne herbeigeholt.
Die hockte Marina gegenüber auf dem Sesselpolster, der Körper annähernd so groß wie der einer Katze, und die behaarten, dürren Beine mochten eine Länge von fast einem
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