044 - Die Millionengeschichte
vorläufig beiseite stellen wollten, bis sie sich genau davon überzeugt hätten, was es wäre. Das war Punkt eins. Punkt zwei: Die verschleierte Dame in Schwarz, die Sie aus Lémans Haus kommen sahen, ist auch von einem unserer Beamten beobachtet worden. Er hat sie ganz deutlich gesehen; ihr Gesicht konnte er allerdings auch nicht erkennen. Sie blieb an der Ecke von Berkeley Square stehen, um einen Brief in einem länglichen Kuvert in den Kasten zu werfen. Der Beamte hat auch bemerkt, daß sie diesen länglichen Brief in der Hand trug, als sie die Wohnung verließ. Nun ist natürlich nichts Auffälliges daran, daß eine Frau aus einem Haus in der Davis Street herauskommt, um einen Brief in einen Postkasten am Berkeley Square einzuwerfen. Unser Mann dachte deshalb auch nicht mehr daran, bis der Mord bekannt wurde. Und drittens habe ich mir überlegt, daß jemand das andere Glas Kognak ausgetrunken haben mußte, das für Mr. Sands eingeschenkt worden war. Der oder die Täterin muß das Glas wieder gefüllt haben, Sie können sich doch noch darauf besinnen, daß die Kognakflasche auf dem Büfett stand?«
Jimmy nickte.
»Weiterhin konnte ich - zum Glück für Miss Léman -feststellen, daß sie die beiden Likörgläser in Gegenwart der Aufwartefrau eingoß und die Flasche wieder ins Büfett stellte. Unter diesen Umständen war es natürlich vollkommen ausgeschlossen, die junge Dame noch weiter in Haft zu behalten. Da noch kein direkter Haftbefehl gegen sie ergangen war, habe ich es auf meine eigene Kappe genommen, sie freizulassen. Das war um so leichter, als noch keine Anklage gegen sie erhoben war.«
»Gott sei Dank!« erwiderte Jimmy erleichtert. »Nun kann ich wenigstens ruhig schlafen. Es wäre leider grausam, sie noch zu stören, und doch möchte ich sie gerade jetzt wiedersehen.«
»Hören Sie doch auf mit solchen Dummheiten«, entgegnete Blessington. »Verliebte Leute scheinen tatsächlich alle einen Klaps zu haben. Nehmen Sie sich zusammen, Sie sind doch sonst so ein tüchtiger Kerl! Im andern Fall würde ich ja schließlich nicht Ihre Bekanntschaft pflegen. Sie sind darauf aus, eine große interessante Geschichte für Ihre amerikanischen Blätter zu schreiben, und ich bin darauf aus, große Verbrechen aufzudecken. Sie wissen bedeutend mehr über Verbrechen und Verbrecher als Ihre Kollegen, und ich wäre sehr froh, wenn Sie mir bei der Aufklärung dieses Falles helfen würden.«
»Selbstverständlich, soviel ich nur kann. Aber es erscheint mir noch fraglich, ob auch Sie mir helfen wollen«, sagte Jimmy etwas grimmig. »Sie haben ganz recht, ich bin darauf aus, eine Millionengeschichte zu schreiben -«
»Den Stoff dazu sollen Sie schon bekommen. Und ich sage Ihnen, Jimmy, es wird eine Senstation geben. Vor allem müssen Sie mir aber dabei helfen, diese Dame in Schwarz wiederzufinden. Und dann müssen wir den Brief erhalten, den sie in den Briefkasten am Berkeley Square geworfen hat.«
11
John Sands hatte einen Abscheu vor Unannehmlichkeiten und Störungen. Aus dem Grunde konnte er auch alle möglichen anderen Leute nicht leiden, die von der gewöhnlichen Norm abwichen. Aber es kam ihm nicht darauf an, ob seine Mitmenschen ehrliche Bürger waren oder Verbrecher. Für ihre moralischen Eigenschaften interessierte er sich nicht im mindesten. Hauptsache war, daß sie ihn nicht in seinem Wohlleben störten. Er beschwerte sich auch nicht darüber, daß Einbrecher in die Häuser eindrangen, sondern nur darüber, daß derartige Leute seinen Frieden und seine Ruhe stören konnten. Solange die Verbrecher bei anderen Leuten ihre Künste versuchten, hatte er nichts dagegen. Der Fleischer, der ihn belieferte, oder der Chauffeur eines Taxis mochten seinetwegen die größten Verbrecher sein, wenn sie nur ihn nicht belästigten. Ein Verbrecher war in seinen Augen nicht schlimmer als ein Wäscher, der seine Hemden durchgerieben hatte oder die Kragen mit dem Plätteisen verbrannte.
Am nächsten Morgen ging er um elf Uhr zur Polizeiwache und beklagte sich.
»Ich möchte die Polizei nicht unnötig stören«, sagte er, »aber ich muß doch einen Einbruch zur Anzeige bringen, der in meinem Haus verübt wurde. Soviel ich weiß, ist das nötig, um das Eigentum wiederzuerlangen, das mir von den Einbrechern gestohlen wurde. Ich muß allerdings zugeben, daß ich bis jetzt nichts vermißt habe.«
»Ganz recht«, bemerkte Blessington, der zufällig zugegen war und Sands' Worte durch die offene Tür gehört hatte. »Wann ist denn
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