0440 - Odins Raben
vielleicht konnte er ihr klarmachen, daß er jetzt, ohne seinen Machtkristall, keine Gefahr mehr für sie darstellte. Denn er wußte, daß er nicht in der Lage sein würde, einen neuen Machtkristall mit der Kraft seines Geistes zu schaffen.
Im Gegensatz zu ihr…
Aber er kam nicht mehr dazu, irgend etwas zu tun.
Ein furchtbarer Schmerz durchraste ihn. Ted schrie gellend auf. Etwas Unheimliches griff nach seinem Geist, packte erbarmungslos und schmerzhaft zu und wollte ihm den Verstand zerstören.
Im letzten Moment begriff er noch, was geschehen war.
Jemand hatte den Dhyarra-Kristall gefunden, der auf Teds Geist verschlüsselt war. Dadurch wurde der Machtkristall effektiver einsetzbar, aber wenn ein Unbefugter ihn berührte, kam es zu einer Katastrophe - für beide. Wer auch immer den Dhyarra berührt hatte, würde es nicht überleben, und Ted selbst war gar nicht sicher, ob es für ihn selbst noch einmal ein Erwachen geben würde, als er in tiefe Bewußtlosigkeit stürzte. Aber in diesem Moment hätte er selbst den Tod gern akzeptiert - als Erlösung von dem furchtbaren, Geist und Körper zerreißenden Schmerz Und dann war alles nur noch grenzenlose Schwärze.
***
Zamorra und Nicole hatten Ash’Naduur erreicht. Es war kühl, und die Luft roch nach Schwefel. Der Sauerstoffanteil schien hier recht gering zu sein; das Atmen fiel ihnen beiden schwer.
Zamorra räusperte sich. »Okay, hier sind wir nun. Jetzt brauchen wir nur noch nach unserem Freund zu suchen - und zu verhindern, daß es zu der von Merlin befürchteten Katastrophe kommt. Wenn der sich nur etwas deutlicher ausgedrückt hätte…«
Nicole zog die Schultern hoch. Sie hustete; irgend ein Reizgas mußte sich in der Luft befinden, das sich auf ihre Schleimhäute legte. »Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir anstelle von Merlins Tor das benutzt hätten, was offenbar auch Ted genommen hat. Das in Italien… dann wären wir mit Sicherheit näher dran. Jetzt stehen wir hier und wissen nicht einmal, wie wir ihn aufspüren sollen.«
»Ich bin sicher, das andere Tor hätte sich uns nicht so leicht geöffnet«, widersprach Zamorra. »Wir könnten immerhin versuchen, seinen Machtkristall anzupeilen. Wir wissen ja, daß das geht, sobald er ihn benutzt…«
»Und darin haben wir ja auch eine so ungeheuer große Erfahrung, nicht wahr? Ich traue es mir jedenfalls nicht zu, ihn anzupeilen. Weißt du, wie man das anstellt? - Also bitte«, murmelte sie resignierend, als Zamorra verblüfft schwieg.
Zamorra dachte an Merlin und dessen Vision von Kampf und Blut, das nicht in den Felsen von Ash’Naduur fließen durfte. Warum war Merlin nicht mit ihnen gekommen? Er hätte ihnen vielleicht besser helfen können, wenn er hier vor Ort wäre. Irgendwie konnte Zamorra sich nicht richtig vorstellen, daß Merlin tatsächlich so geschwächt war, daß er sich unbedingt wieder zurückziehen mußte. Da war etwas faul.
Zamorra hatte das ungute Gefühl, daß diese Aktion gar nicht so ablaufen würde, wie Merlin sie sich erhoffte. Und auch nicht so, wie Zamorra sie sich vorstellte. Hinzu kam, daß er sich nicht so fit wie sonst fühlte. Ihm fehlte noch eine Menge Ruhe.
Es wäre besser gewesen, Merlin hätte Sid Amos geschickt - oder wenigstens die Druiden Gryf und Teri. Die hätten mit ihren magischen Fähigkeiten weitaus bessere Möglichkeiten gehabt, hier zu agieren…
»Ich glaube, ich spinne«, entfuhr es Nicole plötzlich. Sie sah zum violett glimmenden Himmel empor.
Zamorra sah auf. Er schluckte. Über ihnen kreisten in beträchtlicher Höhe zwei Vögel. Schwarze Vögel, wie sie vorhin auch über Château Montagne in der Luft gewesen waren. Raben.
»Verflixt, das gibt’s doch gar nicht«, entfuhr es ihm. »Es gibt hier keine Raben. In ganz Ash’Naduur nicht. Ebensowenig wie es sie in Ash’Cant gibt… entweder unterliegen wir einer Halluzination, oder…«
»Das ›Oder‹ dürfte zutreffen«, bemerkte Nicole. »Denk an die Raben, die wir in der Hexennacht gesehen haben. Und an die beiden Raben seinerzeit in Mexiko, als wir es mit der Krakenschlange zu tun hatten. Immer wieder zwei Vögel. Es gibt jemand, der uns beobachtet und hinter uns her ist.«
»Aber warum sollten zwei Raben uns beobachten wollen?« fragte Zamorra.
»Ich habe da einen dumpfen Verdacht«, gestand Nicole. »Die Vögel sind nicht aus eigenem Antrieb hinter uns her. Jemand lenkt sie. Und ich glaube, ich weiß auch, wer das ist.«
Fragend sah Zamorra sie an.
»Kennst du die nordischen Mythen
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