0441 - Die Nacht der stillen Mörderin
der Haustür stand. Ich weiß nicht, was sie mit ihr gemacht haben, aber es sieht doch so aus, als hätten sie sie nur zum Schreien gebracht, um mich ins Haus zu locken.«
»Wenn Gorgonzola wirklich hinter den Dingen steckt, gefällt mir die Geschichte nicht«, sagte Phil. »Ich sah heute früh seine Lebensgeschichte auf deinem Schreibtisch und konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick hineinzuwerfen. Der Bursche ist seit drei Tagen aus dem Zuchthaus entlassen. Gorgonzola ist kein Stümper.«
»Du sagst nichts, was ich mir nicht schon selbst gesagt habe«, nickte ich. »Es ist kaum anzunehmen, daß Gorgonzola einen kleinen Strolch wie Hiram Ogg für einen Mord anzuheuern versucht, noch dazu für einen Mord an einem FBI-Agenten. Genauso unklar ist, warum er Hirams Tochter vergiftete. Und schließlich, wenn er es wirklich auf mich abgesehen hat, hatte er heute nacht eine einmalige Gelegenheit dazu. Warum nutzte er sie nicht aus?«
»Ja, warum?« sagte Phil. »Jetzt tut es dir leid, daß deine Theorie nicht stimmt. Aber denk daran, daß du jetzt tot wärst, wenn die Theorie richtig gewesen wäre.«
»Unsinn!« sagte ich. »Vergessen wir eines nicht. Hiram hat den Namen Gorgonzola überhaupt nicht genannt. Er sprach von Old Yellowstain, das ist 'ein kleiner Unterschied.«
»Erinnern wir uns aber auch daran, daß Old Yellowstain unter einer Tonne roten Marmors auf dem Zentralfriedhof ruht. — Was schlägst du also vor?«
»Mich interessiert als erstes, wem dieses Haus hier gehört. Dann möchte ich mehr über Rina Ogg erfahren. Beginnen wir bei diesem Fuchsbau.«
Das Haus machte den Eindruck, als wäre es schon seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt. Nur ein Zimmer wirkte benutzt, und zwar das, in dem Rina Ogg gefunden wurde.
Auf der Glasplatte über dem Waschtisch stand ein Flakon Parfüm. Ich nahm ihn in die Hand, roch daran — Joy aus der Dreißig-Dollar-Klasse. Rina schien jedenfalls nicht schlecht zu verdienen.
Von unten ertönte Phils »Ich habe etwas gefunden«-Pfiff. Ich ging zur Treppe. Unten stand Phil und schwenkte einen Gegenstand.
»War hier unter den Schrank gerutscht! Kennst du das Ding?«
Ich faßte es ins Auge. Es war der eiserne Haken, die Armprothese des Maskierten.
»Teufel! Wenn er das hiergelassen hat, muß er es wirklich eilig gehabt haben, hier wegzukommen!«
»Wahrscheinlich glaubte er, der gesamte FBI stände draußen«, sagte Phil. Er besah sich den Haken. »Damit kann man allerhand Unheil anrichten. Muß kein Spaß gewesen sein, wenn er damit auf dich losging. Wie hast du es nur geschafft, ihm das Ding abzunehmen?«
»Du weißt doch«, grinste ich, »Mut, Intelligenz, Körperbeherrschung — alle meine guten Eigenschaften!«
»Hier riecht es aber penetrant nach Weihrauch«, stellte Phil naserümpfend fest. Er gab mir den Haken. Er war aus blankpoliertem Stahl, eine einfache Konstruktion, die mit Lederriemen festgeschnallt wurde. Der Haken selbst konnte nicht bewegt werden. Es gibt heute Dutzende von modernen Armprothesen, doch dieses Modell mochte von Stevensons Schatzinsel stammen. Aber unzweifelhaft war der Haken neu hergestellt.
Ich wußte gar nicht, daß es für so etwas noch Hersteller gab. Allerdings hatte der Haken einen einzigen »Vorteil«, den nichts sonst erreichte. Im Nahkampf, richtig eingesetzt, war er eine absolut tödliche Waffe.
Auf der Innenseite des einen Lederriemens stand der Name des Herstellers: »A. Bocci, 42. Straße.«
***
Boccis Laden hatte jenes unbestimmbare Etwas an sich, das bei mir sofort sämtliche Alarmklingeln in Tätigkeit setzte. Er war klein, lag im Halbdunkel, und die verstaubten Regale mit den ausgelegten Werkzeugen machten absolut nicht den Eindruck, als wäre hier etwas zu kaufen. Er sah eher nach einer kleinen Tarnwerkstatt aus.
Und genauso sah der Inhaber A. Bocci aus, ein kleines eisgraues Männchen mit einer langen tropfenden Nase und einer Stahlbrille darüber. Auf den ersten Blick hätte ich auf Hehlerei getippt, aber dann sah ich das in das linke Brillenglas eingesetzte Vergrößerungsglas, und mir wurde klar, daß Bocci feinmechanische Arbeiten ausführte.
Er schielte uns mißtrauisch an.
»Sie wünschen, Gentlemen?«
Ich zückte mein Lederetui und legte die FBI-Marke auf den Tisch.
»FBI! Wir hätten ein paar Fragen an Sie!«
»Nur zu!« murmelte er ohne sichtbare Erregung.
»Erinnern Sie sich daran, diese Armprothese hergestellt zu haben?«
Er nahm den Haken und beäugte ihn sorgfälltig.
»Nein«,
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