045 - Das Kind des mordenden Götzen
verbannt hatte. Das Kind war sein Werkzeug.
Die ersten Erfolge hatten sich bereits abgezeichnet. Als er im Heulen des Sturmes über den Talkessel mit der alten Opferstätte schwebte, hatte er gesehen, daß die Menschen wieder bereit waren, Xandros ein Opfer zu bringen. Sein schauerliches Gelächter hatte sich im Donner entladen.
Doch noch war die Herrschaft des Schreckens nicht errichtet. Das Kind mußte für ihn weitermorden. Es mußte unsichtbar in den Dörfern und Städten der Sierra wandeln und einen Dolch in die Herzen der Menschen graben. Es mußte die Saat des Hasses und der Furcht säen. Wenn die Menschen sich gegenseitig zerfleischten, dann war auch der Tag der Rache für den Geistpriester Uxantara gekommen. Er fieberte diesem Tag entgegen. Er war nicht mehr fern.
In vielen Orten des Landes schickten Menschen sich an, Menschen dem mordenden Gott hinzuschlachten.
Das Kind war aufgestanden. Sein übergroßer Kopf hing schräg am dünnen Hals. Die zu verkrusteten Knorpeln verkrüppelten Ohren empfingen die Befehle des blauschimmernden Geistes.
»Gehe nach Chissato und töte den ersten Weißen, den du siehst. Bringe mir sein Herz und werfe es in die Tiefe.«
Uxantara deutete auf das brodelnde Schlammloch.
»Tue, was ich dir befehle, und der Gott wird dir deine frühere Gestalt zurückgeben.«
»Ja, Herr«, rief der verkrüppelte Junge entzückt. »Ich bringe dir ein Herz. Ich bringe dir noch viele Herzen.«
Das Kind brach in ein wahnsinniges Gelächter aus.
Die Nebelschwaden, die Uxantara waren, schwebten zurück über das Schlammloch. Seine Gestalt zerfloß, löste sich ganz auf, wurde eins mit der stickigen Luft, die die heiße Höhle durchwaberte.
Der verkrüppelte Gnom sprang affenartig in eine dunkle Ecke der Höhle, wo eine uralte Kiste stand. Der Deckel hing morsch in den Angeln. Seine kleinen Kinderhände griffen durch Spinnweben auf den matt glitzernden Inhalt. Triumphierend hielt er ein Messer in der Hand, von denen noch viele in der Kiste die Zeiten überdauert hatten. Beifallheischend blickte der Gnom zurück zu dem Schlammloch. Doch Uxantara war in das Reich der Tiefe zurückgekehrt.
Das Kind heulte enttäuscht auf. Dann sprang es wie ein Tier auf einen Spalt in der Felswand zu. Sein kleiner Körper paßte gerade durch die Ritze. Draußen schien die Sonne wieder. Der Gnom kniff die Augen wegen der plötzlichen Helligkeit zusammen. Er orientierte sich kurz. Dann schlug er den Weg nach Westen ein. Dort lag Chissato. Dort würde das Kind des mordenden Gottes den ersten Weißen töten, dessen es ansichtig wurde.
Die Luft um die dahinhuschende Gestalt begann zu flimmern. Unmerklich erst, dann immer deutlicher. Schließlich verwehte das Kind in der glasenden Mittagssonne. Für alle menschlichen Augen im Umkreis von fünfhundert Metern war es unsichtbar geworden.
Nur die Klinge des todbringenden Messers glänzte unheilbringend.
***
Patrick Morgan und Barry Queens waren auf eine Mauer der Ablehnung gestoßen. Jeder der Indios, den sie nach dem Verbleib der Lehrerin gefragt hatten, hatte getan, als würde er kein Wort Spanisch verstehen. Sie prallten ab an dieser Mauer des Schweigens.
Miguel Calozza, der Wirt, machte da keine Ausnahme.
»Sie wird zu ihren Verwandten nach Mérida gefahren sein«, antwortete er auf die bohrenden Fragen der Männer. »Ich weiß wirklich nicht, wo Senhorita Fuengeres ist.«
Es war offensichtlich, daß er log. Es war auch offensichtlich, daß er Angst hatte. Grauenhafte Angst. Als würde er um sein eigenes Leben fürchten.
Ebensowenig Glück hatten sie beim Alkalde, dem Bürgermeister, gehabt. Pierro Madrigas hatte sich einfach dumm gestellt. »Was wollen Sie, Señores«, hatte er gesagt. »Woher soll ich wissen, wo die Senhorita ist? Sie ist jung. Vielleicht hat sie einen Liebsten, den sie besuchte. Ich kann Ihnen nicht helfen, Señores. Tut mir furchtbar leid. Sie wird schon wiederkommen, die Senhorita.«
Seine flackernden Augen, sein unsteter Blick straften seine Worte Lügen. Doch es war nicht mehr aus ihm herauszubekommen.
»Das ist zum Kotzen«, umschrieb Barry Queens die Situation kurz und drastisch, und Patrick Morgan hatte dieser Feststellung beigepflichtet. Die Situation war wirklich verfahren. Sie kamen in ihren Recherchen keinen Schritt weiter. Einige Zeitlang hatten sie erwogen, die Polizei von Oaxaca zu alarmieren, doch sie hatten auch die Nutzlosigkeit dieses Unterfangens eingesehen. Den Beamten würden die Indios nicht mehr erzählen, als sie
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