0454 - Der blutrote Zauberteppich
Wir werden ihn gemeinsam hervorholen.« Er und seine Freunde gingen dorthin, wo ich den Teppich bereits angehoben und den Weg vorbereitet hatte.
Wir brauchten nicht einmal die Hälfte des Teppichs aufzurollen, um den eigentlichen zu finden.
Mir gab es einen Stich, als ich ihn sah. Es war der gleiche Teppich, der mich hergetragen hatte. Die blutrote Farbe, der beinahe glatte Stoff, der sich anfühlte wie dichter Samt.
In meiner Zeit war ich damit in die Vergangenheit gereist, jetzt sah ich ihn wieder und hoffte natürlich, wieder zurückreisen zu können, denn Jacques de Molay konnten wir auf keinen Fall retten. Da hatten sich die Geschichtsschreiber bestimmt nicht geirrt.
Gemeinsam zogen wir den Teppich hervor, rollten den anderen wieder zu recht und ließen das Beutestück auf ihm liegen.
Wenn ich den Zwerg mitrechnete, waren wir zu fünft und hatten uns so aufgebaut, daß jeder auf den Teppich schauen konnte. Ich warf noch einen Blick auf die Toten und spürte den Schauder. Dieses Blutvergießen hätte nicht zu sein brauchen.
»Das ist er!« flüsterte Bertrand de Valois. »Das ist genau der Teppich, den Jacques de Molay von seiner Reise aus dem Orient zurückbrachte.«
»Ich kenne ihn auch.«
Der Templer warf mir einen nachdenklichen Blick zu. »Dann weißt du sicherlich auch, daß ihn kein Unwürdiger betreten kann oder darf. Nicht wahr?«
»Wenn er es doch macht?«
»Wird er vernichtet!« erwiderte der Templer kalt. »Er hat keine Möglichkeit zur Rückkehr mehr.«
Ich dachte an die sechs Hände, die aus dem Teppich gewachsen waren, und überlegte, ob ich Bertrand de Valois ins Vertrauen ziehen sollte. Ich entschied mich dafür.
»Auch ich habe von den Händen gehört, die streicheln und töten können. Jacques de Molay hat mir davon erzählt. Er hat den Teppich genau untersuchen können und mich eingeweiht. Magier aus dem Morgenland stehen zu ihm in einem besonderen Verhältnis.«
»Wieso?«
»Man hat sie darin getötet!«
Ich war überrascht. »Das verstehe ich nicht…«
»Es ist ganz einfach, Freund John Sinclair. Ich gebe dir die Geschichte wieder, so wie ich sie von Jacques de Molay gehört habe. Er hat sie ebenfalls von einem Weisen erfahren, der sehr genau über gewisse Dinge Bescheid wußte. Einst - es war vor der Zeit der Grab-Befreiung - regierte dort ein Kalif, der dem Zauber fremder Magien sehr zugetan war und sich an seinem Hofe drei Magier hielt. Diese wurden ihm zu mächtig. Er wollte sie loswerden. ›Freiwillig‹ wären sie nie gegangen. Wenn doch, wären sie auch zurückgekehrt und hätten sich furchtbar an ihm gerächt. Das wußte er auch. Aus diesem Grunde änderte er seinen Plan, lockte die Magier in eine Falle und begann damit, sie zu foltern und zu martern. Sie aber widerstanden der Tortur. So entschloß sich der Kalif, sie auf eine ungewöhnliche Art und Weise zu töten. Er ließ ein großes Grab in die Felsen schlagen und wickelte die drei Magier in eben diesen Teppich, bevor er sie zusammen in das Grab hineinschob. Aber er hatte sie nicht zuvor getötet. Bei lebendigem Leib schob er sie in die Grabhöhle, das hatte er von den Ägyptern gehört, und so erstickten sie. Aber sie waren Zauberer und mußten einen Weg gefunden haben, um die Zeiten zu überdauern. Sie wurden zu Staub, ihr Geist überlebte. Er verband sich ebenso mit dem Teppich wie ihr Blut. Deshalb besitzt er eine so rote Farbe. Es ist die Farbe des Blutes, das die Magier einst verloren haben. Begreifst du jetzt den Sinn dieser alten Legende, John Sinclair?«
»Noch nicht ganz. Was hat es mit einem Würdigen oder Unwürdigen zu tun und mit dem Betreten des Teppichs?«
»Nur derjenige darf den Teppich betreten, der Jacques de Molay auch nahegestanden hat. Andere werden sterben.«
»Dann kannst du ihn betreten?«
»Ja.«
»Auch deine Freunde?«
»Darauf hoffen wir.«
»Ich kenne ihn ebenfalls, denn der Teppich hat mich in diese Zeit gebracht, in die ich nicht gehöre, Bertrand.«
Ich hatte die Worte bewußt langsam ausgesprochen, ein jeder sollte sie verstehen. Sie waren auch verstanden worden. Man schaute mich trotzdem an, als hätte ich etwas Schlimmes gesagt. »Das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte de Valois. »Wie soll ich das begreifen?«
»Ganz einfach. Ich lebe 600 Jahre später, wenn ich von dieser Zeit ausgehe.«
In den folgenden Sekunden bewies mir der Templer, daß er ein intelligenter Rechner war. »Wenn du auf dem Teppich hergekommen bist, hat er die Zeiten überdauert.«
»Das
Weitere Kostenlose Bücher