0455 - Der Lord und die Geister-Lady
zwei Fingern anfassen und aus der Masse hervorziehen.
Die Lampe hielt er so, daß sein Fundstück angeleuchtet werden konnte. Und Staunen zeichnete das Gesicht des Chinesen, als er sah, was er da hervorgeholt hatte.
Es war ein Pfeil!
Nicht sehr lang. Ungefähr die Hälfte eines Armes messend. Er bestand aus einem polierten Metall, deshalb auch das Blinken, als das Licht ihn getroffen hatte. Doch Suko sah noch mehr. Auf der im Verhältnis zum Schaft hin wirkenden breiteren Spitze sah er eine Bemalung. Sehr deutlich zeichnete sich dort der Umriß einer roten Sonne ab, deren Kreis von Strahlen umgeben war, die wie erstarrte Flammen wirkten.
Die Sonne, die Sonnenkönigin, Shao… Suko brachte diese drei Dinge in einen unmittelbaren Zusammenhang, aber er bekam keine Richtung. Trotz dieses Fundes war ihm nach wie vor unklar, wer ihn da gerettet hatte.
Jemand hatte diesen Pfeil geschossen und damit auch genau ins Schwarze getroffen. Stellte sich nur die Frage, ob dieser jemand noch in der unmittelbaren Umgebung lauerte.
Suko löschte die Lampe. Er hatte es plötzlich eilig, nach draußen zu gelangen. Über die umherliegenden Reste sprang er hinweg, erreichte die Tür und konnte sie aufstoßen.
Trotz der Dunkelheit hätte sich seine Gestalt noch auf der Schwelle abgezeichnet. Das wollte Suko vermeiden. Mit einem gleitenden Schritt ging er nach rechts weg.
Wären die paar Laternen nicht zerstört worden, hätte er mehr gesehen. So aber war er gezwungen, die Dunkelheit ohne Hilfsmittel und mit eigenen Augen zu durchdringen.
Nichts zu sehen.
Nur jenseits der Anlage, wo eine Straße herführte, leuchteten einige Lampen in ihrem fahlen gelben Schein. Ansonsten war die Ruhe beinahe perfekt.
Suko holte tief Atem. Auch sein Gehör fand nichts heraus. Es gab kaum Geräusche, die auffielen, bis auf das plötzliche Pfeifen, das der Chinese schon einmal vernommen hatte.
Im Nu lag er am Boden.
Er sah nicht, daß etwas über ihn hinwegflog, er ahnte es nur, schaute noch aus seiner Lage in die Höhe und glaubte, in der Wand einen schmalen Schatten zu sehen.
Ein Pfeil?
Suko blieb sicherheitshalber liegen. Ein zweiter Pfeil jagte nicht heran. Erst als über eine Minute vergangen war, drückte sich der Inspektor vorsichtig in die Höhe.
Noch griff er nicht nach dem Pfeil, dann drehte er sich urplötzlich hoch und riß ihn an sich. Zwei Sekunden später hatte er eine andere Deckung gefunden. Es war eine Regenwassertonne aus Kunststoff, dort fühlte sich Suko einigermaßen sicher, schaltete abermals die Lampe ein und untersuchte das Beutestück.
Der Pfeil war mit dem ersten völlig identisch. Auch auf seiner Fläche zeigte sich die rote Strahlensonne. Sukos Verwunderung wuchs.
Weshalb hatte der Unbekannte den zweiten Pfeil überhaupt geschossen? Wollte er ihn damit erwischen oder erschrecken? Der Inspektor beschloß, seinem Lebensretter zu vertrauen. Er verließ die Deckung, stellte sich offen hin, lauschte und glaubte sogar, Schritte zu hören, die sich hastig über kleine Gartenfelder hinweg entfernten.
Die Richtung war schwer feststellbar, zudem bewegte der Wind einige Sträucher, die der Unbekannte gut als Deckung hätte nehmen können. So sah Suko nichts.
Bei diesen Lichtverhältnissen die Verfolgung aufzunehmen, hatte keinen Sinn. Aber Suko war klargeworden, daß er so etwas wie einen Schutzengel bekommen hatte.
»Wer?« fragte er leise. »Wer hat sich eingemischt? Und weshalb hatte es dieser Unbekannte getan? Hing es vielleicht mit Kräften zusammen, die der Würfel mobilisiert hatte?«
Eine Antwort würde Suko nicht bekommen, deshalb dachte er über dieses Problem auch nicht weiter nach. Für ihn war es jetzt wichtig, diese Lady Danford zu finden, von der ihm die Stimme berichtet hatte. Diese Frau konnte sich auf einige Fragen gefaßt machen…
***
Lord Peter Danford lächelte. »Darf ich vorstellen? Meine Gattin, Lady Mary Danford. Ein Zombie, wenn Sie so wollen, Mr. Sinclair. Aber sehen so Zombies aus?«
Er war sich seiner Sache völlig sicher. Ich hob die Schultern und schaute mir an, wie Lady Mary Danford sich in Bewegung setzte.
Ihr Mann schritt ihr entgegen. Galant reichte er ihr seinen Arm, und sie hängte sich ein.
Beide kamen mir vor, als hätten sie diesen Auftritt extra einstudiert. Sie gingen wie zwei Schauspieler auf der Bühne. Die Lady ließ sich von ihrem Gatten zu einem Sessel führen. Sie nahm Platz.
Ich schaute sie an.
Zombie oder nicht?
Eine konkrete Antwort war schwer zu geben.
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