0456 - Shao - Phantom aus dem Jenseits
schon war er wieder eingeschlafen.
Sheila aber fand keine Ruhe.
Sie lag auf dem Rücken, starrte gegen die Decke, die sich schwach abzeichnete, und konnte die Gedanken nicht ordnen, die ihren Kopf durchflössen. Immer wieder stellte sie sich die Frage, auf was sie sich da eingelassen hatte und wer sie auf dem Totenhügel des Friedhofs wohl erwarten würde.
***
Sollte es wirklich so enden?
Erdrosselt oder durch einen schnellen Genickbruch, bei dem das Ende ja schmerzlos sein sollte, wie Ärzte stets versicherten. Dazu befanden sich Zeugen nicht weit entfernt, und ich lag im Staub, gefesselt durch eine Peitsche, und sah den Tod in der Gestalt eines Raubtier-Dompteurs.
Was zahlreiche Dämonen, Höllengeschöpfe und selbst der Satan nicht geschafft hatten, würde dieser kleine Mensch fertigbringen. Dabei hatte ich nicht einmal um Suko trauern können, so wie er damals um mich getrauert hatte, als er meine Leiche sah, die sich letztendlich als Kopie herausgestellt hatte.
Shao tot, Suko tot - jetzt war ich an der Reihe. Ich konnte mir ausrechnen, wann es die Conollys nicht mehr gab, die ja auch irgendwie zu unserem Team gehörten.
Die Hölle räumte auf und machte Nägel mit Köpfen!
»Nichts geht mehr, Sinclair, nichts! Ich…« Er schüttelte sich plötzlich, und ich dachte, jetzt zieht er die verdammte Schlinge zu.
Das geschah nicht.
Zwar bewegte er seine rechte Hand, aber in die entgegengesetzte Richtung, so dass sich die Riemen um meinen Hals nicht nur lockerten, sondern weggezogen wurden.
Ich war wieder frei!
Dennoch blieb ich auf dem Rücken liegen, denn vor mir gebärdete sich der Dompteur auf eine Art und Weise, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.
Er schlug um sich, bewegte dabei beide Arme, und die Peitschenschnur hieb des Öfteren auf den Boden, wo sie kleine Steine und Wolken von Staub in die Höhe wirbelte.
Er kam mir vor wie ein Tänzer, in den der Geist eines Irrwisches gefahren war. Sein Körper zuckte, er warf den Kopf vor und zurück, die blonden Haare flogen, klatschten in sein Gesicht, streiften die Augen und wurden wieder zurückgeworfen.
Dieser Mensch war nicht mehr Herr seiner Sinne. Innerhalb einer Sekunde hatte etwas Fremdes die Herrschaft über ihn bekommen und tobte sich nun aus.
Ich stemmte mich hoch, weil ich ihn weiter beobachten wollte.
Er drehte sich noch einmal heftig. Durch die Fliehkraft wurde die Peitschenschnur in die Höhe gerissen, so dass sie fast waagerecht lag, und dann warf der Mann sein Instrument fort, als wäre es plötzlich heiß geworden.
Einen Moment später blieb er stehen.
Er starrte mich an.
Ich ging auf ihn zu, weil ich ihn aus der Nähe sehen wollte, und schaute ihm in die Augen.
Waren es andere geworden?
Nein, das nicht, aber sie zeigten einen anderen Ausdruck, als gehörten sie nicht mehr ihm, sondern einem Fremden.
Tatsächlich, in den Augen des Dompteurs stand etwas Fremdes und Unheimliches. Nichts war mehr von seinem Hass auf mich zu lesen, die andere Macht hielt ihn unter Kontrolle.
So rasch, wie sein Tanz begonnen hatte, so plötzlich hörte er auch wieder auf. Der Mann wirkte wie eine Puppe, die man auf den Boden gepresst hatte. Er fiel aber nicht, fing sich wieder und blieb vor mir stehen.
Schwer atmend stierte er gegen mich. Der Mund stand offen. Speichel troff über seine Lippen und klatschte vor den Fußspitzen zu Boden. Er hielt sich nur mühsam aufrecht, ich wollte ihn auch nicht stützen, aber ich stellte ihm eine Frage.
»Was ist geschehen, Mister?« Das Sprechen bereitete mir Mühe. Noch immer spürte ich den Druck der Peitschenschnur.
Er zeigte auf mich, wollte reden, doch noch schaffte er es nicht. Seine Schwierigkeiten waren größer als meine. Dann presste er das erste Wort hervor. »Du…«, sagte er.
Ich horchte auf. Obwohl er nur ein Wort gesagt hatte, war es mir aufgefallen. Dieser Mann hatte mit einer völlig anderen Stimme gesprochen. Es war nicht seine eigene gewesen, die er gesenkt hatte, nein, sie war fremd, hatte einen anderen Klang, und in mir stieg allmählich ein Gefühl des Grauens hoch.
Obwohl ich mir noch nicht ganz sicher war, glaubte ich doch, die Stimme erkannt zu haben, aber ich wollte erst mehr von ihm hören, um mir ein Urteil bilden zu können.
»Reden Sie weiter!« forderte ich ihn auf.
Er musste erst Luft holen und wahrscheinlich darüber nachdenken, was er sagen wollte. Sein Hals bewegte sich, als würde er permanent aufstoßen, dann sprach er die nächsten Worte, die mich fast von
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