0456 - Shao - Phantom aus dem Jenseits
plötzlich aus der Tiefe des Schlafs gerissen, konnte sie gedanklich der neuen Situation nicht so rasch folgen und hätte fast einen Schrei ausgestoßen, doch Myxin legte seinen Finger auf ihre Lippen.
»Nicht, Sheila«, hauchte er.
Die blondhaarige Frau entspannte sich. Sie hatte endlich erkannt, wer vor ihr stand, auch wenn sie gedanklich noch nicht ganz auf der Höhe war. Der kleine Magier lächelte sie an, als er es sich bequem machte und auf der Bettkante seinen Platz fand. »Du sollst mir nur zuhören, Sheila«, sagte er leise. »Einverstanden?«
Sie nickte im Liegen.
Myxin begann. »Ich habe eine Botschaft für dich von einer Person, die du kennst. Du sollst in der nächsten Nacht zu einem bestimmten Hügel gehen und dort warten. Willst du das?«
»Wieso?«
»Ich habe dich nur gefragt, ob du bereit bist.«
»Ja, wenn es wichtig ist.«
»Nicht so laut reden. Es ist wichtig für die Person, die mir den Auftrag gegeben hat.«
»Gut, dann komme ich. Aber wohin soll ich denn gehen?«
»Du weißt, dass Shao gestorben ist. Und dir wird auch bekannt sein, wo Suko seine Totenfeier abgehalten hat?«
»Ja, auf dem Friedhof. Es ist ein chinesischer gewesen, wenn mich nicht alles täuscht.«
»Richtig. Auf diesem Friedhof existiert der Hügel. Du wirst ihn erklimmen und dort warten.«
»Ich allein?«
»Ja, zunächst. Möglicherweise ist noch jemand anderer da. Aber geh du bitte allein.«
Sheila atmete tief ein. Erst jetzt war sie richtig wach. Bisher hatte sie nur automatisch geantwortet, doch nun überlegte sie. Der Besuch des kleinen Magiers und seine Forderungen kamen ihr so unwirklich vor, und sie streckte ihren Arm aus, um Myxin auch fühlen zu können. In der Tat war er keine Erscheinung. Er saß vor ihr.
»Wer wird mich dort erwarten?« fragte sie.
»Das ist eine Überraschung.«
»Bitte, sage es. Ist es der Eiserne Engel? Kann ich helfen, ihn wieder zu euch zurückzuholen?«
Da zeichnete ein verlorenes Lächeln die Lippen des Magiers. »Nein, leider kannst du es nicht. Ich hätte viel darum gegeben, aber dein Besuch, Sheila, hat einen anderen Grund, und die Person, die dich auf dem Hügel erwarten wird, ist nicht der Engel.«
»Wer dann? Sag es mir!«
»Leise, Sheila«, hauchte Myxin, weil er gesehen hatte, dass sich Bill unruhig bewegte. »Ich darf es dir leider nicht sagen, sie hat es mir aufgetragen, aber ich möchte dich herzlich bitten, meiner Einladung zu folgen. Dann ist meine Rolle als Vermittler nicht umsonst gewesen. Sagst du zu, Sheila?«
»Ich… ich weiß es nicht. Begebe ich mich dabei in eine große Gefahr?«
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich bin ehrlich zu dir. Ich glaube es aber nicht.«
»Und Bill? Kann ich ihn wirklich nicht mitnehmen?«
»Die andere Person will, dass du allein kommst. Ich finde, du solltest ihr den Gefallen tun.«
Sheila umklammerte Myxins Handgelenk. »Dann weißt du also, wer sie ist?«
»Ich bin eingeweiht.«
»Bitte, sag es mir.«
Myxin blieb stur. »Ich habe ein Versprechen gegeben, Sheila, das kann ich nicht brechen.«
Ihre Hand sank wieder nach unten. »Verstehe«, erwiderte sie undeutlich.
»Ja, ich verstehe dich, Myxin. Mir wäre es bestimmt auch so ergangen. Versprochen ist versprochen.«
»Ich danke dir, Sheila.«
»Aber ich möchte noch etwas fragen. Kann ich denn Bill darüber informieren?«
Myxin legte seine Stirn in Falten. »Weißt du auch, wie er reagieren wird?«
»Ich kann es mir denken.«
»Sag ihm am besten nichts.« Myxin erhob sich und sah, dass Sheila nickte.
Er ging. An der Tür drehte er sich noch einmal um und lächelte. Dann verschwand er lautlos. Er schien sich aufzulösen wie ein Nebelstreif in der Sonne.
Zurück blieben Sheila und die Wölfin. »Wenn ich nur wüsste, auf was ich mich da eingelassen habe«, flüsterte sie und streichelte automatisch das Fell des Tieres, aber Nadine konnte ihr auch keine Antwort geben.
Dafür regte sich Bill. Sheila hörte, wie er sich umdrehte und sich plötzlich aufsetzte. Er starrte dabei in die Dunkelheit und drehte den Kopf.
»Verflixt, Sheila, mit wem hast du denn geredet?«
»Ich?«
»Ja, ich hörte doch deine Stimme.«
In diesem Augenblick war Sheila nahe daran, ihrem Mann alles zu erklären, doch sie riss sich noch einmal zusammen und meinte: »Ja, ich habe gesprochen. Nadine besuchte mich. Sie wollte wohl gestreichelt werden.«
Als Beweis dafür begann die Wölfin leise zu knurren, und Bill Conolly lehnte sich aufatmend zurück. Sekunden später
Weitere Kostenlose Bücher