046 - Der Schatten des Werwolfs
Deutlich konnte er das Haus sehen.
Es war ein zweistöckiger grauer Bau, mindestens zweihundert Jahre alt. Die tiefstehende Sonne funkelte in den geschlossenen Fensterscheiben. Vor dem Haus standen zwei Fahrzeuge – ein Porsche und ein Rolls Royce. Kein Mensch war zu sehen. Der Garten wirkte sehr gepflegt, überall wuchsen Sträucher und Blumen. Hinter dem Haus lag ein kleiner Teich.
Archer holte das Fernglas hervor und betrachtete das Haus genauer. Neben dem Eingangstor befand sich eine gewaltige Terrasse, die mit einer riesigen Sonnenplane überdacht war.
Er beobachtete das Haus einige Minuten, doch nichts rührte sich. Nach einer halben Stunde kroch er von der Eiche herunter und ging zur Mauer. Er suchte nach einer Stelle, um hinaufklettern zu können, doch er fand nichts Passendes. Er schob den Efeu zur Seite, berührte die Mauer und zuckte zurück. Es war ihm, als hätte er einen leichten elektrischen Schlag bekommen. Er probierte es nochmals. Diesmal ließ er seine Hand länger auf der Mauer liegen. Und wieder bekam er einen Schlag.
Er kniff die Lippen zusammen und trat einen Schritt zurück. Dann ging er kopfschüttelnd zu seinem Wagen, griff nach dem Telefon und setzte sich mit John Wood in Verbindung.
»Bei mir gibt es nichts Neues«, sagte Wood. »Chasen ist noch immer im Büro. Er hat seiner Sekretärin Anweisung gegeben, dass er nicht gestört werden will.«
»Sobald er sein Büro verlässt, verfolgst du ihn, John«, sagte Archer. »Ich bleibe einstweilen im Wagen, suche mir aber eine andere Stelle, wo ich ihn unauffälliger hinstellen kann.«
Archer fand einen herrlichen Parkplatz hinter einigen Büschen. Von der Straße aus war er nicht zu sehen.
Er aß zwei Sandwichs, trank eine Dose Bier und wartete. Kurz nach halb sieben Uhr meldete sich John Wood bei ihm. Chasen war in seinen Jaguar gestiegen und fuhr in Richtung Kensington.
Von seinem Standpunkt aus hatte Archer einen guten Blick auf das Eisentor. Einige Minuten vor sieben Uhr tauchte ein cremefarbener Cadillac auf, der vor dem Tor hielt, das Sekunden später geöffnet wurde. Der Cadillac fuhr in den Garten, und hinter ihm schlossen sich die schweren Türflügel.
In Minutenabständen trafen weitere Autos ein, darunter auch Chasen mit seinem silberfarbenen Jaguar. Insgesamt waren es fünf Wagen, die in den Garten der Lorrimers fuhren. Archer notierte die Wagennummern.
Das Autotelefon läutete, und Archer hob den Hörer ab.
»Ich stehe in der Robin Hood Road«, meldete sich John Wood. »Ist Chasen an dir vorbeigekommen?«
»Ja«, antwortete Archer. »Komm zu mir, John! Und vergiss die Ausrüstung nicht!«
»Was soll ich alles mitnehmen?«
Archer zählte es auf.
Zehn Minuten später erschien Wood. Er grinste und trug zwei Koffer.
»Wir werden uns bei der Beobachtung des Hauses abwechseln«, sagte Archer. »Es gibt nur eine Stelle, von der aus wir das Haus unbemerkt beobachten können. Bei den Bäumen.«
Wood nickte und folgte Archer, der vorausging. Unter der Eiche blieb er stehen und sah zu, wie Wood seine Geräte auspackte.
»Ich steige mal hoch«, sagte Archer und kletterte auf den Baum, während Wood sich weiter mit seinen Empfangsgeräten beschäftigte.
Wood war in die Garage gegangen, in der Chasen seinen Wagen abgestellt hatte, und es war ihm gelungen, ein leistungsstarkes Gerät einzubauen. Archer schätzte die Entfernung von Chasens Jaguar bis zur Veranda, wo sich einige Leute aufhielten, ab. Es waren kaum fünfzig Meter.
Wood hockte unter dem Baum und hatte sich Kopfhörer über die Ohren gestülpt. Er hantierte einige Minuten an seinen Geräten herum, setzte dann die Kopfhörer ab und sah zu Archer hinauf.
»Es klappt tadellos«, sagte Wood. »Ich kann die Gespräche mithören.«
»Lass das Tonband laufen, John!«, rief Archer hinunter. »Wenn du was Interessantes hörst, dann gib mir Bescheid! Ich beobachte das Haus weiter.«
»Gut«, sagte Wood und setzte sich.
Er stopfte sich einen Kaugummi in den Mund und hörte zu.
Archer drehte an der Feineinstellung des Fernglases und sah sich der Reihe nach die Leute auf der Terrasse an, die in Gruppen herumstanden. Nach kurzem Suchen entdeckte er Ronald Chasen. Er hielt in der rechten Hand ein Glas. Seine Bewegungen wirkten seltsam verkrampft. Er bewegte den rechten Arm ruckweise. Sein Gesicht war bleich und das braune, leicht gewellte Haar streng nach hinten gekämmt. Sein brauner Anzug saß wie angegossen.
Neben ihm stand ein junges Mädchen, das ein offenherzig
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