046 - Xendarro, der Vampir
Tag nahm ihm die Angst, das helle Licht sog die Furcht aus ihm, und er würde sie erst wieder spüren, wenn die Sonne unterging und die Dämmerung über Granadell hereinbrach, aber bis dahin gab es noch viele unbeschwerte Stunden, die er nützen wollte.
Aber der Schneider irrte sich, denn das Grauen war bereits auf dem Weg zu ihm.
Die Höllenwesen, die ihn gejagt hatten, brauchten das Tageslicht nicht zu fürchten, denn sie waren keine Vampire. Lieber war ihnen für ihre grausamen Umtriebe zweifelsfrei die Nacht, aber auch bei strahlendem Sonnenlicht waren ihre Opfer nicht sicher vor ihnen.
Doch woher hätte der Schneider das wissen sollen?
Die schwarzen Kreaturen fühlten sich tatsächlich von ihm herausgefordert, und als er ihnen entkam, legten sie sich in der Nähe seines Hauses auf die Lauer, denn sie rechneten damit, daß er irgendwann zurückkommen würde.
Sie sahen ihn mit dem Priester heimkommen und ließen ihn auch noch über eine lange Strecke des Vormittags in Ruhe, aber dann war Cipriano Valdenebros Uhr abgelaufen.
Er sollte sterben, und die Höllenmänner – ghoulähnliche Wesen – krochen aus ihren Verstecken. Während der Schneider dem schönen Tag immer mehr Vertrauen entgegenbrachte, war sein Tod schon eine beschlossene Sache.
Ahnungslos durchtrennte Valdenebro mit der Scherenspitze einige Heftfäden, zupfte sie aus dem Stoff, erhob sich und schaltete das Bügeleisen ein.
Ohne daß er es merkte, öffnete sich die Haustür, und zwei grauenerregende Gestalten traten ein. Valdenebro legte das Jackett auf den Bügeltisch und griff nach dem Eisen.
Da streifte ein Lufthauch seinen Nacken – und sofort war die panische Angst wieder da. Er hatte sich selbst belogen, als er sich einredete, am Tag brauche er keine Angst zu haben, das erkannte er in diesem Augenblick.
Scharf zog er die Luft ein, während er sich schnell umdrehte. Sie quollen förmlich zur Tür herein, diese abscheulichen Wesen, für deren Existenz der einfache Schneider keine Erklärung hatte. Er konnte sich lediglich damit abfinden, daß es sie gab und daß sie ihm immer noch nach dem Leben trachteten.
Gehetzt blickte er zur anderen Tür. Sie wurde in diesem Moment ebenfalls geöffnet, und noch so ein widerliches Wesen betrat sein Haus. Diesmal war ihm auch der zweite mögliche Fluchtweg versperrt.
Cipriano Valdenebro stand mitten im Raum, hielt das schwere heiße Bügeleisen in der Hand und war entschlossen, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen.
Diese gottverdammten Bestien ließen ihm keine andere Wahl!
***
Reglos lag Xendarro auf dem Rücken. Der Blutsauger war rechtzeitig in sein Versteck zurückgekehrt, und er hatte doch noch Blut getrunken.
Zuerst hatte er Granadell fluchtartig verlassen wollen.
Dann aber siegte die Blutgier, und er suchte nach einem anderen Opfer. Carmen Salguero war für ihn vorläufig tabu. In der Nähe dieses Hauses würde er sich nicht so bald wieder blicken lassen, denn er hatte dort eine bittere Erfahrung gemacht, die für ihn beinahe zur schmachvollen Niederlage geworden wäre.
Er ging nach Möglichkeit den Weg des geringsten Widerstandes, denn er liebte Schwierigkeiten nicht, wie er sie im Haus der Salgueros angetroffen hatte.
Aber der Name des Mädchens blieb auf seiner Blutliste stehen. Irgendwann würde sie die Unvorsichtigkeit begehen und bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht zu Hause sein.
Dem Haus würde Xendarro fernbleiben, nicht aber dem Dorf, und er war sicher, daß er dem schönen jungen Mädchen wieder begegnen wurde.
Und dann…
Sie hatte keine Gnade zu erwarten. Er würde sie grausamer töten als all seine anderen Opfer, denn sie hatte sich gegen das Schicksal aufgelehnt, das er ihr zudachte.
Doch jetzt lag Xendarro wie eine Leiche in seinem Versteck. Er war geschützt vor den gleißenden Strahlen der Sonne, die für ihn tödlich gewesen wären, und erst die Nacht würde ihre schwarzen Schwingen über ihn breiten und ihn wachküssen, denn sie war seine Verbündete; nur in ihrem Schutz konnte er leben und den Keim der Hölle weitergeben, wie er es in der vergangenen Nacht getan hatte.
***
Cipriano Valdenebro glaubte, wahnsinnig zu werden. Die scheußlichen Wesen starrten ihn unverwandt an, ließen jedoch keinen Zweifel darüber aufkommen, daß seine letzte Stunde geschlagen hatte.
Es war lächerlich, daß er sich mit dem schweren Bügeleisen verteidigen wollte.
Der Schneider versuchte sie alle im Auge zu behalten. Fünf Höllenkreaturen waren es. Eine so gefährlich wie
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