0464 - Der Tod der Lebedame
abheben. Ich hielt ihn also möglichst tief und zog sicherheitshalber meinen 38er Smith and Wesson aus der Schulterhalfter.
Dann startete plötzlich ein Wagen in der dritten Reihe. Er scherte aus und steuerte mit quietschenden Reifen auf die Durchfahrt zu, die man als Verbindung zur Straße freigelassen hatte.
Ich ging hinter einem Stationcar in Deckung und zückte die Waffe.
Als der schlingernde, schnell beschleunigende Wagen an mir vorbeisauste, verpaßte ich seinem linken Vorderreifen ein paar Kugeln.
Der Fahrer feuerte zurück.
Ich hörte, wie eine der Kugeln mit hysterischem Jaulen über ein Wagenblech schabte.
Dann krachte es. Der Wagen war gegen ein Fahrzeug geknallt. Offenbar hatte der Fahrer die Kontrolle über die Lenkung verloren; der Reifen war genau in dem Moment geplatzt, als der Fahrer versucht hatte, mich durch das offene Fenster anzuvisieren.
Mit ein paar Sätzen war ich am Wagenschlag der Fahrerseite. Ich riß ihn auf. Der bewußtlose Fahrer rutschte mir entgegen. Er war offenbar mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geschlagen, und der heftige Aufprall hatte ihm das Bewußtsein geraubt.
Ich löste die Pistole aus seinen Fingern und schaute in den Wagen.
Im Fond des Wagens lag ein dunkles und regloses Bündel.
Es war, als griffe eine würgende Hand nach meinem Hals.
»Phil!« rief ich heiser. »Phil!«
Mein Freund antwortete nicht.
Ich zerrte den Gangster vom Sitz und ließ ihn neben dem Wagen liegen. Dann riß ich die Fondtür auf und kletterte in den Wagen. Gott sei Dank, Phil lebte. Aber er war ohnmächtig. Im Lichte der Fondlampe sah ich, daß er ein mächtiges Ding am Kopf abbekommen hatte, offenbar einen gezielten Schlag mit dem Pistolenschaft.
Ich schüttelte Phil. Benommen hob er die Lider. Er blickte mich verständnislos an. Ich gab ihm ein paar Sekunden Zeit, sich zu erholen, und bemerkte, wie sich seine Pupillen schärften und verengten.
»Verdammt«, sagte er schwach, »das wäre beinahe schiefgegangen.«
»Es ist schiefgegangen, für die anderen«, stellte ich grimmig fest. »Wie fühlst du dich?«
Phil stemmte sich hoch. »Wie nach dem Genuß von zwölf Waschlappen und einem Eimer Spülwasser«, teilte er mir mit. Er faßte sich vorsichtig an den Kopf. »Wo stecken die Burschen?« fragte er.
»Einer erfreut sich bereits der Fürsorge der Revierbeamten«, teilte ich ihm mit, »den anderen übernehmen wir. Er ist kampfunfähig.«
Ich stieg aus. Der Fahrer kam gerade zu sich. Mir fiel rechtzeitig ein, daß er noch eine zweite Waffe bei sich haben mußte, die von Phil nämlich, und ich klopfte ihn ab. Phils Waffe fand sich in der Jacketttasche des Burschen. Phil stieg aus. Ich gab ihm den Revolver zurück und fragte: »Alles okay?«
»Ich wünschte mir, ich könnte das Dampfhammerwerk ausbauen, das hinter meiner Stirn Überstunden leistet«, knurrte er. Wir blickten gemeinsam den Mann an, der gerade versuchte, auf die Beine zu kommen. Endlich hatte er es geschafft. Er hielt sich an dem lädierten Wagen fest und musterte einigermaßen deprimiert seine Umgebung. Ihm schien allmählich aufzugehen, was ihn als Folge der Geschehnisse erwartete. Sein Gesicht zog sich in die Länge wie Kuchenteig. Es hatte auch ungefähr die gleiche Farbe.
»So, Freundchen«, sagte ich. »Sie sind doch vernehmungsfähig, nehme ich an?«
Er starrte mir in die Augen, als hätte er die Gabe, mich mit den Pupillen aufzuspießen. Er war ein ziemlich häßlicher Bursche, hohlwangig, dunkeläugig, mit einem kleinen Bärtchen auf der Oberlippe. Im Gegensatz zu seinem Komplizen war er fein in Schale. Der Einreiher mit dem hohen Rückenschlitz und der taillierten Machart entsprach der neuesten modischen Masche. »Was wollen Sie von mir?« fragte er knurrend. »Freddy und ich wollten ein bißchen Spaß haben… das ist alles.«
»Freddy heißt also der zarte Knabe?« erkundigte ich mich. »Wie heißen Sie?« fragte ich.
»Ray Tucker«, sagte er.
»Zeigen Sie mir Ihren Ausweis!«
»Ich muß Sie enttäuschen, Sir«, sagte er. »Ich habe keinen bei mir.«
»Also gut«, sagte ich, »kommen Sie mit!«
In diesem Moment versuchte er zu türmen. Ich schob blitzschnell den Fuß vor. Er stolperte prompt darüber und ging unsanft zu Boden. Als er wieder hochkam, sah er sich Phil gegenüberstehen.
Tucker verkniff die Augen und klopfte seinen Anzug ab. Ein kurzer Blick auf das, was Phil an Muskeln unter dem Anzug und an Entschlossenheit im Blick trug, ließ ihn resignieren. »Wohin soll es denn gehen?«
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