0464 - Gemälde des Grauens
uns hinab. Oben rief sie wieder nach ihrem Mann, ohne allerdings eine Antwort zu bekommen.
»Der ist wohl nicht da!« murmelte Suko.
»Das hoffe ich.«
»Wieso? Hast du einen anderen Gedanken?«
Ich hob die Schultern. »In diesem Fall weiß ich nicht mehr, was ich noch denken soll. Mir ist das alles sehr suspekt, obwohl eigentlich noch nichts passiert ist.«
Harriet Lester kam wieder zurück. Sie strich durch ihr Haar. Eine ratlose Geste. »Tut mir leid, Gentlemen, aber er ist nicht im Haus.«
»Wo kann er sein?« fragte ich.
Sie nahm sich etwas zu trinken. Martini und Wodka mixte sie und rührte das Getränk gedankenverloren um. »Ich weiß es nicht«, erklärte sie, trank, nahm Platz und stellte das Glas ab. »Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen.«
»Kommt es öfter vor, daß Ihr Mann nicht im Haus ist?«
»Ja, er ist dann auf Motivsuche, wie er immer sagt. Diesmal hatte ich ihn gebeten, auf mich zu warten. Es wundert mich, daß er es nicht getan hat. Das muß einen Grund haben.« Sie schaute uns so an, als könnten wir ihr das Motiv nennen.
»Dann warten wir eben«, meinte Suko.
»Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben.«
Harriet berichtete von ihrem Mann und ihrer Ehe. Sie waren zehn Jahre miteinander verheiratet. Es hatte Hochs und Tiefs in der Zeit gegeben, viele Stürme, denn ihr Mann war ein sehr emotionaler Mensch, der zahlreiche Hochs, aber ebenso viele Tiefs hatte und bei diesen in schreckliche Depressionen verfiel. Besonders in letzter Zeit hatten diese stark zugenommen.
»Eben seit dieser Ausstellung«, sagte Harriet.
»Hat Ihr Mann sie sich angesehen?«
»Nein, er wollte nicht.«
»Weshalb?«
»Ich habe ihn nur einmal danach gefragt. Da hat er mich angebrüllt und fast einen Tobsuchtsanfall bekommen. Ich werde ihn deshalb danach nicht mehr fragen.«
»Aber wir müssen hin«, sagte Suko.
»Wieso?«
»Wenn der veränderte Zustand Ihres Mannes tatsächlich mit der Ausstellung in einem Zusammenhang stehen sollte, müßten wir dort das Motiv finden.«
»Das ist aber gewagt!« staunte Harriet.
Suko lächelte. »Wir sind dafür bekannt, daß unsere Fälle immer sehr spekulativ sind.«
»Das hörte ich.« Harriet trank einen Schluck. Sie wurde immer nervöser, während sich vor dem Haus der Dunst verdichtete. Wir konnten in einen winterlichen Garten schauen. Die Gartenmöbel standen noch dort. Sie waren durch entsprechende Planen abgedeckt worden.
Noch etwas dunkler als der Dunst präsentierte sich der Novemberhimmel. Die geschlossene Wolkendecke schien weder einen Anfang noch ein Ende zu besitzen. Müde trudelten Blätter zu Boden und blieben auf dem Gras liegen.
Harriet hielt es nicht mehr aus. Sie stand auf und ging zum Fenster. Es reichte bis zum Boden. Sie hauchte gegen die Scheibe, als sie sprach. »Ich habe schon überlegt, das Haus zu verkaufen und wieder nach London zu ziehen. Da ist mehr los, da kann sich Godfrey ablenken. Hier wird man im Herbst trübsinnig, wenn man zu oft allein ist. Was denken Sie?« Harriet trat auf den halbrunden Kamin aus weißen Steinen zu und ließ sich auf dem breiten Rand nieder.
»Das ist Ihre Entscheidung«, erwiderte ich.
»Leider.«
»Und was sagt Ihr Mann dazu?«
»Ich habe mich bisher nicht getraut, dieses Thema überhaupt anzusprechen. Nicht, wenn er diese Depressionen hat. Da ist kaum mit ihm zu reden. Hinzu kommt noch die Angst. Er glaubt, nicht mehr er zu sein, sondern ein anderer Mensch.«
»Das geht schlecht.«
»Sie haben recht, Suko, aber es ist so. Er spürt in sich etwas Fremdes, das ihn völlig durcheinanderbringt.«
Mein Freund wollte noch etwas fragen, aber Harriet sprang plötzlich von ihrem Platz hoch. Sie hatte etwas gehört und schaute starr zur Haustür. »Ich glaube, daß er gekommen ist.«
»Wirklich?«
Sie gab Suko keine Antwort mehr und lief zur Haustür. Mein Freund und ich standen auf, als wir hörten, daß jemand die Tür aufschloß und Harriet mit erleichtert klingender Stimme sagte: »Endlich bist du das, Godfrey.«
»Ja.«
»Er scheint keine gute Laune zu haben«, bemerkte Suko.
»Sieht mir auch so aus.«
»Wir haben Besuch, Godfrey.«
»Wen?«
»Zwei Männer aus London. Sie wollen sich deine Bilder anschauen und vielleicht etwas kaufen.«
»Sie sollen verschwinden.«
»Bitte, sei vernünftig. Rede doch erst einmal mit ihnen.«
»Das will ich nicht.«
»Dann begrüße sie wenigstens.«
»Das werde ich auch nicht. Ich bin nur gekommen, um etwas zu trinken. Ich werde danach wieder
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