0471 - Im Wartesaal des Todes
nachgerechnet. Das ergibt in diesem kleinen Raum einen Säurespiegel von fünf Zentimetern. Genug, um euch zu zerfressen.«
Der Gangster lachte schrill. Er hatte die Säure umgefüllt, stellte die Gummiflasche auf den Boden und verschwand dann wieder.
»Wie lange dauert es, bis so eine Gummiflasche durchgefressen ist?«
»Ich bin kein Erfinder. Das müssen Sie wissen.«
»Vielleicht einen halben Tag…«
»Kann sein.«
»Wie lange dauert es, bis ein Mensch von der Säure zerfressen ist?«
»Wochen.«
»Zwei Menschen?«
»Monate.«
»Das ist schön.«
»Warum?«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich auf Sie lege…?«
***
Die Reifen meines Jaguar quietschten, als ich vor dem Diamond-Club hielt. Bislang hatten wir uns in diesem Fall stets im Kreis gedreht. In mir loderte eine ohnmächtige Wut auf die Verbrecher. Ich war gereizt wie ein wilder Stier. Als ich das Haus betrat, in dem die Tänzerin wohnte, versuchte ich mit aller Gewalt, meine Gefühle auszuschalten. Nur sehr mühsam gelang es mir. Ich zog meine Smith and Wesson aus der Schulterhalfter und steckte sie in die Jackentasche. Meine linke Hand schloß sich um den Kolben, der Zeigefinger lag am Abzug, die Waffe war entsichert.
Leila Reynolds wohnte im dritten Stock. Ich lief die Stufen im Eiltempo hoch und schaffte damit wieder etwas Klarheit in meinem Kopf.
Als ich klopfte, hörte es sich wie ein Schlag mit dem Hammer an.
»Bitte?« tönte eine weibliche Stimme, und ich öffnete die Tür.
Leila Reynolds saß auf der Couch ihres Wohnzimmers und blätterte in einem Magazin. Als ich eintrat, nickte sie nur leicht und blätterte weiter. Ich schloß die Tür und steuerte dann einen Sessel an.
»Bekommen Sie sehr oft Herrenbesuch?« fragte ich grob.
Sie lächelte mich an. Aber ihre Augen waren kalt. »Sind Sie ein Teck?«
»So etwas Ähnliches.«
»Entweder man ist einer, oder man ist es nicht.«
»Jerry Cotton, Special Agent des FBI New York«, stellte ich mich vor.
»Was wollen Sie von mir?«
»Wissen, wo Mickey Derridge ist.«
»Sonst noch etwas?«
»Wo ist mein Kollege Phil Decker?«
»Wofür halten Sie mich?«
»Für eine Tänzerin.«
»Lassen wir es dabei. Verwechseln Sie mich also bitte nicht dauernd mit einer Auskunftei. Wenn Sie sonst keine Fragen auf dem Herzen haben, rauschen Sie wieder ab. Ich bin keine Kummertante.«
Eins muß man dem Girl lassen, es besaß eine gehörige Portion Unverfrorenheit. Aber das konnte mich nicht beeindrucken.
»Wir wissen genau, daß der G-man Phil Decker Ihre Wohnung betreten hat und nicht wieder herausgekommen ist«, bluffte ich.
Leila Reynolds blickte mich einen Augenblick lang schweigend an. Ihre Augen waren ausdruckslos. Sie verrieten nicht die geringste Gemütsbewegung.
»Können Sie mir einmal den Nagellack aus der Schublade dort holen«, sagte sie und deutete auf den Wohnzimmerschrank. Meine Frage schien sie nicht im geringsten aus dem Konzept gebracht zu haben.
Ich erhob mich und ging zum Schrank. Der Nagellack lag in der angegebenen Schublade. Ich griff ihn und wandte mich wieder um. Dann erstarrte ich. Ich blickte genau in die Mündung einer Luger. Das Girl auf der Couch hatte mit einem Male eine hübsche kleine Pistole in der Hand.
»Ich brauche den Nagellack nicht mehr«, sagte sie ruhig. Ich glaubte ihr aufs Wort.
***
»Die Nachmittagspost, Mr. High«, sagte Helen leise. Ihre Augen waren gerötet, und sie hielt ein Taschentuch in der Hand. Mit der anderen schob sie das große Paket auf Mr. Highs Schreibtisch. »Was ist das?« fragte der Chef.
»Ich habe keine Ahnung. Das Paket trägt keinen Absender. Es ist geröntgt worden, aber es hat die Kontrolle anstandslos passiert.«
»Gut. Danke, Helen.« Aber Helen ging noch nicht.
»Ist noch etwas?«
»Ja… Ich… Also, Phil, ist das endgültig…, ich meine, können wir nicht mehr…?«
»Schon gut, Helen. Ich weiß, was Sie sagen wollen. Natürlich dürfen wir noch hoffen. Das muß man immer…« Der Chef löste die kleine Schnur, die das Paket zusammenhielt. Als er es öffnete, verfärbte sich sein Gesicht. In dem Paket war Asche. Daneben lag ein Zettel. Auf dem Zettel war ein roter Fleck:
»Helen, bringen Sie diesen Bogen bitte gleich ins Labor«, sagte Mr. High mit brüchiger Stimme.
»Sofort«, sagte Helen und verschwand schnell. Irgendwie hatte sie mit einem Male Angst vor dem verzerrten Gesicht Mr. Highs bekommen. Als sich die Tür hinter Helen schloß, ging Mr. High zu dem Schrank, in dem die Getränke für seine
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