0478 - Der Horror-Kalender
hast dich getäuscht. Es schneit, und die Körner fallen auch gegen die Scheibe.«
»John, ich kann doch das eine vom anderen unterscheiden. Nein, nein, ich habe dieses komische Summen gehört. Da kannst du sagen, was du willst.«
»Gut, ich werde weiter horchen und gebe dir Bescheid, falls ich es auch höre.«
»Okay.«
Der Inspektor war kein Spinner, das stand fest. Wenn er etwas Verdächtiges vernommen hatte, stimmte das auch. Um besser in die Dunkelheit schauen zu können, löschte ich die zweite Lampe und ließ nur die brennen, die am weitesten vom Fenster entfernt stand.
Ich war auf dem Weg zu meinem Ziel, als ich das Geräusch zwar nicht hörte, aber etwas sah.
Es war ein Schatten, der von links nach rechts an der Scheibe vorbeihuschte.
Ich blieb unwillkürlich stehen und zwinkerte mit den Augen. War es eine Täuschung gewesen, hatte mir der Schneeschleier etwas vorgespielt? Ich wollte es genau wissen, öffnete das Fenster und wurde leicht sauer, als mir die Schneekörner gegen die Gesichtshaut prasselten. Wo befand sich der Schatten?
Ich entdeckte ihn nicht. Wenn er tatsächlich an der Scheibe vorbeigehuscht war, hatte er es verstanden, sich zu verbergen. Ich rief mir die Umrisse ins Gedächtnis zurück. Der Schatten war lang gewesen, er hatte durchaus menschliche Umrisse besessen. Vielleicht ein großer Vogel. Ich dachte auch an den Eisernen Engel, aber der war in einer Pyramide verschollen. Zusammen mit einer Person namens Serena. Keiner von uns wußte, wo er sich aufhielt.
Noch einmal lehnte ich mich nach draußen. Dabei schaute ich schnell nach links und rechts, dann auch nach vorn, doch der Schneeschleier fiel so dicht, daß er alles andere überdeckte.
Das Geräusch, von dem Suko gesprochen hatte, vernahm ich ebenfalls nicht.
Ich schloß das Fenster wieder, war trotzdem beunruhigt und rief diesmal Suko an.
»Na, hast du ihn gehört?«
»Nein, aber gesehen.«
»Was?«
»Einen Schatten. Er huschte an meinem Fenster vorbei und kam mir vor wie der langgestreckte Körper eines Menschen oder eines Vogels. So genau will ich mich da nicht festlegen.«
»Das habe ich nicht gesehen. Jedenfalls war etwas da.«
»Ja, und wir sollten die Augen offenhalten.«
Suko war einverstanden. »Ich glaube nicht, daß es eine ruhige Nacht für uns werden wird«, fügte er noch hinzu.
»Mal schauen.«
Ich legte wieder auf und spürte die leichte Unruhe. Ja, der Schatten bereitete mir Sorgen. Wieder schaute ich zum Fenster - und blieb plötzlich steif stehen.
Da war wieder etwas hinter der Scheibe.
Aber es huschte nicht vorbei, es blieb stehen, so daß ich es identifizieren konnte.
Es war ein Gesicht.
***
Alt, jung - hübsch oder häßlich?
Das war nicht festzustellen, denn das Gesicht wurde von den grauweißen Schneeschleiern umweht, so daß es mit ihnen fast zu einem Brei verschwamm. Und gleichzeitig vernahm ich auch das surrende Geräusch, von dem Suko gesprochen hatte.
Es war tatsächlich so laut, daß es das leise Prasseln des Schnees gegen die Scheibe übertönte und von mir vernommen werden konnte, trotz des geschlossenen Fensters.
Ein Gesicht in dieser Höhe!
Mit normalen Dingen ging das nicht zu. Es stand auch kein Fensterputzer auf einem fahrbaren Balkon. Also mußte es eine andere Ursache haben. Ich lief auf das Fenster zu, schlug die Hand gegen den Hebel, um es zu öffnen, da war das Gesicht verschwunden.
Einfach weg, als hätte es der Schnee zur Seite gespült. Ich riß das Fenster wieder auf, spürte die kalte Luft und den Schnee, der auf meiner Haut taute, aber von der Gestalt entdeckte ich nichts mehr.
Natürlich war auch das Geräusch nicht zu hören, und ich lehnte mich so weit hinaus wie eben möglich, drehte den Kopf, schaute in die Höhe - und sah die Gestalt.
Sie schwebte über mir und schoß nun pfeilschnell nach unten.
Ebenso rasch zog ich mich wieder zurück. Das Wesen jagte am Fenster vorbei, hatte mich nicht mehr erwischt, und ich zog mich wieder zurück in meinen Wohnraum.
Jetzt blieb das Wesen so nah, daß ich die Flügel auf seinem Rücken sehen konnte.
Es waren zitternde Schwingen, die aussahen wie dünnes Glas und sich sehr schnell bewegten.
Allmählich fühlte ich mich auf den Arm genommen. Ich wartete noch einige Sekunden und bekam mit, wie sich die Mischung aus Mensch und Vogel hektisch bewegte, einen engen Kreis zog, um anschließend aufzusteigen.
Es geschah sehr schnell, so daß ich es kaum mitbekam und nur mehr das Surren der Flügel vernahm, wie einen
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