048 - Die Bande des Schreckens
und schaffte ihn in den Salon. Vom Bett waren die Laken und Decken bereits entfernt worden. Nach einem letzten prüfenden Blick verließ er das unordentlich aussehende Zimmer, schloß die Tür ab und ging in die Halle hinunter. Seine Arbeit war noch nicht beendet. Aus seinem Büro führte eine enge Treppe in den Keller. Mit einer Lampe in der einen und dem Totschläger in der ändern Hand stieg er die Stufen hinab und schlich auf dem Ziegelsteinboden bis zu der Stelle, über der die Bauleute die Decken durchbrochen hatten, so daß ein viereckiger Schacht bis ins zweite Stockwerk hinauf entstanden war. Er schaute hinauf und konnte die oberste Öffnung sehen, durch die der Wetter hinabgestürzt war. Cravel war allerdings nicht gekommen, bloß um hinaufzuschauen. Der Atem stockte ihm, als er mit der Lampe nach allen Seiten leuchtete und den Mann, den er tot oder bewusstlos auf dem harten Steinboden vorzufinden hoffte, nirgends sah.
Long war fort! Kein Zeichen deutete darauf hin, daß er je dagelegen hatte, keine Spur von Blut. Cravel stieß einen Fluch zwischen den Zähnen hervor. Es war unmöglich, daß der Kerl ohne ernsthafte Verletzungen davongekommen war. Er durchsuchte den ganzen Keller.
Was sollte werden, wenn der Wetter entkommen war, nachdem er jenes Bild in Monkfords Zimmer gesehen hatte?
Er hastete in sein Büro hinauf, schloß sich ein, füllte ein Wasserglas halbvoll mit Weinbrand und trank es in einem Zuge aus.
Es klopfte an der Tür. Die Köchin verlangte den Küchenschlüssel. Die alte Frau war taub und die einzige vom Personal, die die Nacht in Heartsease zugebracht hatte, denn das Hotel stand leer.
Cravel öffnete die Tür und gab ihr die Schlüssel, obgleich es überflüssig war, da er selbst schon Kaffee gekocht und die Tür offengelassen hatte.
Darauf stieg er nochmals ins zweite Stockwerk hinauf und ging bis zum Ende des Ganges, wo er eine unscheinbare Tür öffnete, die dahinterliegende Stahltür aufschloß und sein Privatapartment betrat. Es bestand aus zwei Wohnräumen, einem Badezimmer und einer kleinen Küche. Er verschloß die Stahltür hinter sich und ging in den kleineren der beiden Räume. Ein Mädchen lag auf dem Bett, völlig reglos, anscheinend ohne Leben. Er hob ihren Arm hoch und untersuchte die drei Stiche, deren einer noch ganz frisch war. Auf dem Tisch neben dem Bett befanden sich eine kleine grüne Flasche und eine Spritze. Er schob eines ihrer Augenlider mit dem Finger in die Höhe, und als er sah, daß keinerlei Reaktion erfolgte, ging er mit zufriedenem Gesicht hinaus. Im anderen Zimmer war niemand. Er las einen mit Bleistift geschriebenen Zettel, der auf dem Tisch lag, und verbrannte ihn im Kaminfeuer.
Wo steckte der Wetter? Das war das Rätsel, das ihn beschäftigte. Auf dem Zettel war er nicht erwähnt worden. Er nahm den Revolver des Inspektors aus der Tasche und untersuchte ihn neugierig. Dann legte er ihn hinter sich auf den Tisch, denn der Anblick der fremden Waffe erhöhte nur seine Nervosität. Lange stand er, eine Zigarette rauchend, am Fenster. Sein besorgter Blick schweifte der Gartenmauer und dem Golfplatz entlang. Angenommen, der Wetter war tot, und man hatte ihn, nachdem der Zettel geschrieben worden war, irgendwohin geschafft - die Behörden würden erst spät am Morgen nach ihm zu suchen anfangen. Man würde den Wagen im Fluß finden und nach der Entdeckung von Rouchs Leichnam den Flußlauf absuchen. All das nahm Zeit in Anspruch.
Er fragte sich auch, was mit Alice geschehen war. Weshalb kehrte sie in die Stadtwohnung zurück und kam nicht nach Heartsease, um ihr Teil an der Verantwortung auf sich zu nehmen? Alice war ihm ein Rätsel. Sie war ebenso hart und gewissenlos wie alle anderen gewesen und hatte keine Gefahr gefürchtet. Jetzt aber, in einem Augenblick, wo es darauf ankam, versagte sie.
Vom Erdgeschoß rief eine Stimme nach ihm. Schnell schloß er die Tür auf und lief zum Geländer, von wo aus er die Halle überblicken konnte. Es war seine Schwester. Sie stand unten in ihrer durchnäßten Kleidung und schaute zu ihm hinauf. »Komm herunter!« »Wo warst du?«
Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. »Wo ist Long?«
»Ich weiß es nicht genau, er ist entschlüpft.«
Sie glaubte ihm nicht - schon der Umstand, daß sie keine weiteren Fragen stellte, bewies ihm das.
»Auf der Landstraße nach Sunningdale habe ich jemanden getroffen - einen Taxifahrer!«
»Sei nicht geheimnisvoller als nötig!« brummte er. »Was hat der Fahrer mit mir zu
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